Kennen Sie das größte Problem der meisten Vergabestellen? Es ist der Satz: „Dann machen Sie mal schnell noch die Ausschreibung.“ Diese Aussage ruft regelmäßig Frust hervor, denn sie impliziert zwei Dinge: Erstens, dass ein Vergabeverfahren keine große Sache sei und zweitens, dass das einzige Qualitätskriterium, an dem sich Vergabestellen mit ihrer Arbeit messen lassen müssen, der zeitliche Faktor ist.
Jede Vergabemanagerin und jeder Einkäufer, der schon einmal eine Ausschreibung begleitet hat, kann jedoch bestätigen: Ein Vergabeverfahren ist immer ein Projekt. Und selten schnell so nebenbei erledigt.
Mit diesem Blogbeitrag möchten wir Ihnen aufzeigen, weshalb ein Vergabeverfahren einer Bergbesteigung gleicht und Ihnen eine Anleitung an die Hand geben, worauf Sie beim Aufsetzen Ihres Vergabeprojektes besonders achten müssen, wo sich Stolperfallen verstecken und wie Ihnen ein internes Qualitätsmanagement dabei helfen kann, den Weg zum Gipfel leichter zu gestalten.
Ein Hinweis vorab: Den Autoren ist bewusst, dass die beschriebene Problematik sich sowohl auf Vergabestellen selbst beziehen kann, hiervon aber auch Einkaufsabteilungen betroffen sind, die selbst Vergabeverfahren durchführen. Aufgrund der besseren Lesbarkeit wurde sich darauf beschränkt, im Folgenden nur von Vergabestellen zu sprechen. Einkaufsabteilungen sind dabei jedoch immer mit bedacht.
Ganz gleich, wie hoch der Berg ist, den Sie erklimmen müssen – ob es sich um den Hügel hinter Ihrem Haus handelt oder den nächsten Achttausender – die im Folgenden aufgezeigten Schritte lassen sich sowohl für Direktaufträge anwenden als auch für EU-weite Vergabeverfahren. Denn oft sind auch Bedarfe mit einem geringeren Beschaffungswert sehr komplex, etwa wenn es sich um geförderte Maßnahmen handelt oder besondere Vorgaben zu beachten sind, zum Beispiel an die IT-Sicherheit und den Datenschutz oder gar, wenn auszuschreibende Bedarfe interdisziplinär von mehreren Fachabteilungen mit unterschiedlichen Anforderungsprofilen genutzt werden sollen.
Sie haben nun eine Bedarfsanzeige erhalten und müssen daher bitte einmal in den Bergsteigermodus wechseln. Sobald der Beschaffungsbedarf bekannt ist, beginnen Sie mit der Planung des Projektes. Dadurch gewinnen Sie zum einen Klarheit darüber, wie viel Zeit Sie für die Umsetzung benötigen, wen Sie einbinden müssen und welche Arbeitspakete notwendig sind. Somit können Sie für Ihre Geschäftsführung und Ihre Bedarfsträger schon einmal transparent darstellen, wie viel Arbeitsaufwand dahintersteckt.
Sinnvoll ist es, für jedes Ausschreibungsprojekt die gleiche Systematik zu wählen:
Nachdem Sie sich einen Überblick über die bevorstehende Tour gemacht haben, gehen wir jetzt noch einmal auf einzelne Punkte etwas genauer ein. Wie ein Bergsteiger sollten Sie nur loslaufen, wenn Sie gut vorbereitet sind, Ihre Packliste erstellt haben, für ausreichend Proviant gesorgt ist und Sie wetterfest ausgerüstet sind.
Bezogen auf Ihre Ausschreibung bedeutet das: Sie können das Vergabeverfahren nur bekannt machen, wenn Sie die Ausschreibungsreife hergestellt haben. Diese erreichen Sie durch eine umfassende fachliche Zuarbeit der Fachabteilungen sowie die Durchführung einer Markterkundung. Die fachliche Begründung der Beschaffungsnotwendigkeit, Preisinformationen, Orientierungsangebote und, im Idealfall, den Entwurf der Leistungsbeschreibung müssen Ihnen die Bedarfsträger zuarbeiten, da Sie auf dieser Grundlage den Auftragswert schätzen sowie die weiteren vergaberechtlichen Entscheidungen zu treffen haben. Nicht immer ist es einfach, die notwendigen fachlichen Informationen zu erhalten oder in der Qualität, in der diese vorliegen müssten.
Das ist tatsächlich mitunter die größte Herausforderung, vor der Vergabestellen stehen können: Ohne die fachliche Zuarbeit und die Kenntnis darüber, ob der Anwender eventuell schon eine Markterkundung durchgeführt hat, kann nicht begonnen werden. Der Bedarfsträger wähnt seinen Beschaffungsbedarf jedoch vielleicht schon in der Umsetzung, denn er hat schließlich angezeigt, was er benötigt. Und die Geschäftsführung kann nicht nachvollziehen, weshalb alles so lange dauert. Versuchen Sie hier mit Ihrem diplomatischen Geschick, einer engmaschigen Kommunikation und einer Checkliste weiterzukommen. Geben Sie dem Bedarfsträger eine Anleitung mit, welche Unterlagen er mit der Bedarfsanzeige einreichen muss und arbeiten Sie so oft es geht mit Mustervorlagen. Zum einen erreichen Sie damit eine einheitliche Vorgehensweise, zum anderen fühlen sich die Anwender „abgeholt“. Lassen Sie sich gegebenenfalls von den Bedarfsträgern erklären, wie der Prozess oder die Betriebsumgebung aussieht, in der der Bedarf später angewendet werden soll. Reicht all Ihr Einsatz an dieser Stelle wider Erwarten nicht aus, kommen wir zur nächsten Strategie. Suchen Sie sich für die vorbereitenden Arbeitsschritte Ihre Verbündeten.
Selbst versierte Profibergsteiger würden niemals auf die Idee kommen, eine Bergtour ohne einen Bergführer anzugehen. Denn ein Bergführer ist mit dem Gelände vertraut, kann die Witterungsbedingungen korrekt deuten und vor allem ist er in der Lage zu erkennen, wann eine Kurskorrektur oder gar eine Umkehr geboten sind. Daher sollten Sie es einem Bergsteiger gleichtun und für Ihr Ausschreibungsprojekt einen Projektverantwortlichen benennen und damit das Risiko für Unwägbarkeiten oder zeitliche Verzögerungen durch Abstimmungsprobleme verringern. Diese Kollegin oder dieser Kollege kann Sie auch bei der Anforderung der noch fehlenden fachlichen Zuarbeit unterstützen.
Und jetzt kommt der Trick: Der Projektverantwortliche sollte niemals ein Mitarbeitender aus Ihrer Vergabestelle oder aus Ihrer Einkaufsabteilung sein. Erfragen Sie intern einen Mitarbeitenden aus dem Projektmanagement oder aus der Fachabteilung der Bedarfsträger, die auch mit den speziellen Anforderungen und dem fachlichen Kontext vertraut sind. Das verschafft Ihnen nicht nur den Vorteil, eine qualitativ höhere fachliche Zuarbeit zu erhalten, sondern Sie können die Verantwortung für das Gesamtprojekt besser verteilen und den Projektverantwortlichen auch als Mediator bei eventuell auftretenden Kommunikationsschwierigkeiten im Laufe der Umsetzung hinzubitten. Ein Projektverantwortlicher kann auch für die gesamte Projektzeit den Kommunikationsplan führen, an die Geschäftsführung berichten, Updates zum Projektstand verschicken und Meetings anberaumen.
Sobald Ihr Bergführer gefunden ist, stellen Sie im nächsten Schritt Ihr Projektteam zusammen. Dabei sind die Beteiligten so auszuwählen, dass möglichst viele fachliche Synergien entstehen und Sie dadurch einen zeitlichen Vorteil erzielen. Welche Kollegen haben bereits Erfahrung mit dem Leistungsgegenstand oder bereits ähnliche Projekte betreut? Wer hat welche Stärken und kann diese wie am besten einsetzen? Meistens sind Vergabestellen personell unterbesetzt und in Einkaufsabteilungen betreuen die Mitarbeitenden klar eingegrenzte Warengruppen oder Fachbereiche. Versuchen Sie, wann immer möglich, öfter einmal von einer vordefinierten Struktur abzuweichen, um mehr Flexibilität herzustellen.
Ist dies nicht möglich, überlegen Sie, welche Tätigkeiten Sie outsourcen könnten. Zum Beispiel ließe sich die Durchführung der Markterkundung durchaus delegieren: an die Fachabteilung selbst, die IT oder auch an die Technik bzw. Medizintechnik. Achten Sie hierbei jedoch darauf, den Kollegen Vorlagen zur Verfügung zu stellen, den vergaberechtlichen Kontext zu erläutern, bei Fragen beratend zur Seite zu stehen und diese Sondierung für Ihre Vergabedokumentation aufzunehmen.
Holen Sie unbedingt auch Mitarbeiter aus der Finanzabteilung, der Drittmittelabteilung, des Datenschutzes und der IT-Sicherheit als Berater ins Team. Je nach Beschaffungsgegenstand müssen Sie Ihr Team auch erweitern: sind zum Beispiel Möbel zu beschaffen, muss auch der Arbeitsschutz eingebunden werden und oft sind Softwareprodukte durch den Personalrat mitbestimmungspflichtig. Bei Drittmittelprojekten ist der Kollege von unschätzbarem Wert, der das Projekt betreut. Zudem ist es unabdingbar, dass Sie sich mit der Bedarfsanzeige bereits den Fördermittelbescheid geben lassen, da dort der Fördermittelgeber Bestimmungen zum Vergabeverfahren vorgesehen hat.
Ohne eine hochwertige Bergsteigerausrüstung kommen Sie nicht weit und setzen sich zudem unnötigen Risiken aus. Das Herzstück einer jeden Ausschreibung ist die Leistungsbeschreibung. Diese sollte in jedem Fall von der bedarfstragenden Fachabteilung angefertigt werden. Sie als Vergabestelle sollten nur beratend tätig werden und das Dokument auf Formulierungen und vergaberechtliche Fragestellungen prüfen. Stellen Sie diese Aufgabenverteilung am besten gleich zu Beginn mit Ihrem Projektplan sicher, sodass es später nicht zu Missverständnissen kommt. Häufig werden Sie von den Anwendern um Mustervorlagen für Leistungsbeschreibungen gebeten. Sofern eine ähnliche Ausschreibung bereits durchgeführt wurde, kann sich an dieser Beschreibung orientiert werden. Meistens ist das jedoch nicht ratsam: war diese fachlich oder vergaberechtlich fehlerhaft, so besteht das Risiko, diese Fehler wieder in die neue Ausschreibung zu übernehmen. Haben sich in der Zwischenzeit fachliche Neuerungen ergeben oder gibt es andere gesetzliche Anforderungen, werden diese Aspekte mitunter nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt.
In dieser Hinsicht können Ihnen KI-Tools bei der Erstellung der Leistungsbeschreibung helfen:
KI-Anwendungen sind wie zusätzliche Griffe am Berg: Sie erleichtern den Aufstieg, indem sie zum Beispiel erste Textbausteine für Ihre Leistungsbeschreibung liefern. Nutzen Sie deren Vorschläge, um Inhalte schneller zu strukturieren und auf den Punkt zu bringen, ohne dabei die datenschutzrechtlichen Vorgaben oder Ihre internen Sicherheitsrichtlinien aus den Augen zu verlieren. Gleichzeitig gilt: Selbst das modernste Kletterseil ersetzt nicht die eigene Erfahrung und Umsicht. Ähnlich verhält es sich mit KI-Tools. Zwar können sogenannte „Large Language Models“ (LLMs), die auf Natural Language Processing (NLP)-Techniken beruhen, ganze Textpassagen generieren, doch müssen diese immer auf Plausibilität und Korrektheit geprüft werden. Ein klassischer Stolperstein besteht darin, dass KI-Anwendungen zwar grammatisch korrekte Sätze formulieren, inhaltlich jedoch ungenaue oder gar erfundene Informationen ausgeben („Halluzinationen“). Um dem zu begegnen, empfiehlt es sich, fachliches Know-how einzubinden und die KI-Outputs z.B. mit Dokumenten aus den jeweils relevanten Quellen abzugleichen.
Nicht selten liefern KI-Tools Hinweise auf neue technische Standards, spezielle Zertifizierungen oder weitere Einsatzmöglichkeiten, die zu Ihrem spezifischen Bedarf passen könnten und Ihnen andernfalls vielleicht entgangen wären. Binden Sie Ihre Fachabteilung in diesen Prozess ein, um alle relevanten Aspekte zu prüfen und in die finale Leistungsbeschreibung zu übernehmen. Achten Sie dabei auch auf den „Lebenszyklus“ der Datenverarbeitung: Viele KI-Anbieter arbeiten cloudbasiert, was u.a. Fragen zum Standort der Server und Speicherdauer der personenbezogenen Daten aufwirft.
Insgesamt führt Sie die Kombination aus fachlicher Expertise, vergaberechtlicher Kompetenz und einem souveränen KI-Einsatz sicher über jede Klippe Ihres Vergabeprojekts. Je besser Sie die technischen Helfer nutzen, ähnlich einem optimal gepackten Bergsteigerset, desto entspannter können Sie sich auf die nächste Etappe Ihres Ausschreibungsprozesses vorbereiten.
In seinem zweiteiligen Gastbeitrag auf Vergabe24.de und im fünfteiligen Interview auf VdZ.org (Verwaltung der Zukunft) geht Rechtsanwalt Okan Doğan auf die wesentlichen Aspekte im Zusammenhang mit der Ausschreibung von KI-Leistungen ein:
Beschaffung von KI: Herausforderungen, Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten für Öffentliche Auftraggeber und Bieter (Link zum Teil 1)
Beschaffung von KI: Gestaltungsmöglichkeiten für Bieter und Auftraggeber (Link zum Teil 2)
VdZ-Interview zu den Veränderungen in der öffentlichen Vergabe (Link zum fünfteiligen Interview)
Bergsteiger haben ihr GPS, Sie haben Ihren § 97 GWB als Richtschnur. Wie ein roter Faden dienen Ihnen die darin beschriebenen Prinzipien – Wettbewerb, Wirtschaftlichkeit, Transparenz, Nichtdiskriminierung, Verhältnismäßigkeit und das Gebot der Losaufteilung – als Orientierung anhand derer Sie sich über das gesamte Projekt hinweg vergaberechtliche Entscheidungen herleiten und die wichtigsten vergaberechtlichen Fragestellungen klären können.
Jede Bergsteigerin erstellt vor dem Aufbruch eine detaillierte Packliste. Zum einen, um sicherzugehen, dass an alles gedacht ist, und zum anderen, um nichts Unnötiges mitzunehmen. Denn alles, was im Rucksack ist, muss dann auch hochgetragen werden. Achten Sie bei Ihren Vergabeunterlagen besonders darauf, welche Unterlagen speziell zu diesem konkreten Leistungsgegenstand passen und dass die Anzahl der Dokumente übersichtlich bleibt. Vielleicht können Sie zum Beispiel die Anforderungen an die Eignung in einem Dokument zusammenfassen. Das ist für die Bieter leichter auszufüllen und Sie sind bei der Auswertung der Angebote sowie der Eignungsprüfung schneller. Denken Sie auch daran, Datenschutzbestimmungen und Anforderungen an die IT-Sicherheit mit in den Vergabeunterlagen abzubilden, sofern diese noch nicht in der Leistungsbeschreibung abgedeckt sind. Achten Sie ebenso darauf, keine sensiblen Daten offen in den Vergabeunterlagen mitzuteilen; in diesem Fall wäre es u.U. erforderlich, eine Verschwiegenheitserklärung den Vergabeunterlagen beizufügen, die dann von den Bietern vor der Angebotsabgabe einzureichen sind.
Eine Bergroute wird immer abgesichert – zum einen, um den Aufstieg möglich zu machen, zum anderen als Orientierung für alle Teammitglieder. Ihre Absicherung ist Ihr Kommunikationsplan. Lassen Sie nicht zu, dass Ihr Vergabeprojekt für Ihre Stakeholder zu einer Black Box wird. Informieren Sie alle wesentlichen Entscheidungen in regelmäßigen Abständen und im gleichbleibenden Format sowohl an das Projektteam als auch an Ihre Stakeholder. Dazu gehören neben vergaberechtlichen und fachlichen Festlegungen auch der detaillierte Zeitplan sowie mögliche Risiken. Sollten sich im Verlauf Ihres Projektes Änderungen ergeben, so kommunizieren Sie diese an das Projektteam und die Entscheidungsbefugten unter den Stakeholdern als Change-Request und lassen Sie sich diese Änderungen dadurch freigeben.
Bei der Ersteigung eines Berges kommt es auf Entscheidungen an und jede dieser getroffenen Entscheidungen hat Konsequenzen – mitunter solch weitreichende, dass sie bei Fehlern den erfolgreichen Auf- oder Abstieg verhindern. Legen Sie daher die größtmögliche Sorgfalt in Ihre Vergabedokumentation. Halten Sie Ihr Vorgehen detailliert fest und begründen Sie jede Ihrer Entscheidungen im angemessenem Umfang, sodass auch eine dritte, völlig unbeteiligte Person Ihre Vorgehensweise nachvollziehen könnte. Neben dem Vergabevermerk, den Vergabeunterlagen, den Bieterfragen, den Angeboten und ihrer Auswertung gehören auch die Unterlagen der Markterkundung, die Berechnung des geschätzten Auftragswertes, die durch die Bedarfsträger vorab eingeholten Preisinformationen oder Orientierungsangebote, Protokolle von Abstimmungsterminen, Mailverkehr zu fachlichen Fragestellungen oder rechtliche Stellungnahmen dazu. Im Rahmen der elektronischen Umsetzung des Vergabeverfahrens werden häufig nicht alle relevanten Informationen erfasst, sodass Sie diese zusätzlich zusammenstellen müssen.
Plötzliche Änderungen der Wetterbedingungen – im vergaberechtlichen Kontext: Rügen – können immer vorkommen, meistens kann ihnen jedoch abgeholfen werden, sodass es nicht zu einem Nachprüfungsverfahren kommt. Lassen Sie sich im Zweifel anwaltlich unterstützen, damit Sie auftretende Risiken von vornherein minimieren.
Viele Bergsteiger werten ihre Routen nach dem Abstieg ins Tal aus. Daher empfiehlt es sich auch nach dem Abschluss Ihres Vergabeprojektes, zusammen mit Ihrem Projektteam in einem gesonderten Meeting ein Brainstorming zu machen: Was hat besonders gut funktioniert? Was ist ein Erfolg? Welche Schwierigkeiten gab es? Was ist nicht so gut gelaufen? Alle diese Informationen und Erfahrungswerte helfen Ihnen im Sinne einer kontinuierlichen Entwicklung immer besser zu werden und einen immer reicheren Wissensschatz anzusammeln. Halten Sie die gewonnenen Erkenntnisse unbedingt schriftlich fest, sodass diese für kommende Ausschreibung genutzt werden können. Stellen Sie sich auch dem Feedback Ihrer Stakeholder und lassen Sie diese Rückmeldungen in Ihren Projektmanagementprozess einfließen. Und vor allem: Kommunizieren Sie Ihre Vergabe-Erfolge innerhalb der Organisation und an die Geschäftsleitung.
Nicht jeder Berg ist gleich und nicht jede Bergbesteigung ist anstrengend. Jedoch sind ein kontinuierliches Ausdauer- und Konditionstraining für alle Bergsteiger essenziell. Trainieren auch Sie Ihre Vergaberechtsmuskeln und planen Sie regelmäßige Fortbildungen für Ihr Team und sich selbst ein. Im Idealfall können Sie intern im Rahmen der Wirtschaftsplanung ein festes jährliches Weiterbildungsbudget vereinbaren. Diese Investition kommt nicht nur Ihrer Abteilung zugute. Je mehr vergaberechtliche Expertise im eigenen Haus gebunden ist, desto realistischer lassen sich auch vorab transparent die Vergabeverfahren und die damit verbundenen Kosten planen, für die eine zusätzliche externe fachliche Beratung notwendig wird. Außerdem können Ausschreibungsprojekte zügiger und passgenauer durchgeführt werden, wenn der vergaberechtliche Kontext durchdrungen und ein Standardprozess zur Umsetzung definiert werden kann.
Damit Sie nicht in die Situation kommen, spontan und unvorbereitet zu einer Bergbesteigung verpflichtet zu werden, sollten Sie intern die Bedeutung einer langfristigen Vergabeplanung betonen. So können Sie die anstehenden Aufgaben innerhalb der Vergabestelle sinnvoll aufsetzen und den Bedarfsträgern realistisch mitteilen, wann welches Projekt ansteht oder wie umgesetzt werden kann. Bitten Sie zum Ende eines Haushaltsjahres darum, bereits feststehende und bekannte Beschaffungsbedarfe bereits bei Ihnen anzumelden und eine Übersicht über die geplanten Drittmittelprojekte zu erhalten. Denkbar ist auch, dass Sie als Vergabestelle als fester Bestandteil für Drittmittelprojektbesprechungen immer mit eingeladen werden.
Nutzen Sie die Checkliste als Leitfaden, um Ihre Arbeit Schritt für Schritt transparenter zu machen und den strategischen Beitrag Ihrer Vergabestelle überzeugend darzustellen.
☐ Projektsteckbrief erstellen – Ziel, Vergabeart & Strategie definieren. | Planung |
☐ Stakeholder + Risiken analysieren – Rollen, Zuarbeiten und „Fallstricke“ klären. | Planung |
☐ Projektverantwortlichen benennen & Team aufstellen – interdisziplinär, ggf. externe Unterstützung. | Organisation |
☐ Meilenstein‑ & Kommunikationsplan festlegen – regelmäßige Updates, wöchentliche Abstimmungen, Krisen‑Rituale. | Steuerung |
☐ Leistungsbeschreibung mit KI‑Tools verfeinern – aber fachlich gegenprüfen. | Vorbereitung |
☐ Vergabeunterlagen schlank packen – Eignung, Datenschutz, IT‑Sicherheit, Vertraulichkeit. | Durchführung |
☐ § 97 GWB als „GPS“ nutzen – Entscheidungen stets an Wettbewerb, Transparenz & Wirtschaftlichkeit ausrichten. | Durchführung |
☐ Lückenlose Dokumentation führen – Vergabevermerk, Bieterfragen, Angebote, Protokolle. | Durchführung |
☐ Erfolge & Einsparpotenziale reporten – Nutzen für Geschäftsführung sichtbar machen. | Abschluss |
☐ Lessons Learned & KVP umsetzen – Feedback sammeln, Prozess‑Standards anpassen. | Abschluss |
☐ Jährliche Vergabe‑Roadmap & Weiterbildung planen – Ausdauer trainieren, nächste „Berge“ früh einplanen. | Kontinuität |
Hinweis: Dieser Blogbeitrag bietet lediglich einen Überblick und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.
Der § 132 GWB ist eine der wichtigsten Regelungen im Vergaberecht und lässt sich am besten mit der Planung einer Reiseroute vergleichen, denn auch hier ist eine Frage zentral: Wo will ich hin? Wie eine Fahrtstrecke am besten rückwärts, also vom Ziel her, geplant werden sollte, so empfiehlt es sich ebenso für diese gesetzliche Regelung, vom Ende her zu beginnen.
Dieser Blogbeitrag soll Ihre Fragen rund um den § 132 GWB beantworten: Warum ist diese Regelung für öffentliche Auftraggeber so wichtig? Wann ist § 132 GWB anzuwenden? Und wie gehen Sie dabei konkret vor?
Darüber hinaus möchten wir Sie jedoch auch auf einige verborgene Schauplätze aufmerksam machen, die am Wegesrand leicht übersehen werden können: Warum der ursprüngliche Auftragswert gar kein „ursprünglicher“ ist. Weshalb ein „und“ eigentlich ein „oder“ darstellt und warum Sie sich unbedingt 50% merken sollten. Denn wie bei einer guten Reise kommt es auch hier darauf an, am richtigen Ort loszufahren, sich Gedanken zur Strecke und den Wetterbedingungen zu machen, genügend Proviant einzupacken und natürlich vorab zu definieren, wo und wann man ankommen möchte. Sind Sie bereit? Dann fahren wir los!
Der § 132 GWB regelt jegliche Vertragsänderungen, die während der Laufzeit des Vertrages, also nach der Zuschlagserteilung vorgenommen werden sollen. Diese Änderungen können notwendig werden, wenn der öffentliche Auftraggeber zusätzliche Leistungen beauftragen muss, wenn sich die Laufzeit des Vertrages ändern soll oder bei einem Wechsel des Auftragnehmers. Für jede Änderung des bestehenden Vertrages müssen Sie nun prüfen, ob dadurch ein erneutes Vergabeverfahren erforderlich wird. Dafür betrachten Sie den Umfang und die Art bzw. die Wirkung dieser Änderungen und bewerten, ob diese einem neuen Auftrag entsprechen.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass bei wesentlichen Änderungen eines öffentlichen Auftrags (vgl. § 103 Abs. 1 GWB) immer ein neues Vergabeverfahren durchgeführt werden muss (§ 132 Abs. 1 GWB). Dieser Tatbestand gilt auch für Rahmenvereinbarungen (vgl. § 103 Abs. 5 GWB), denn diese sind gemäß § 103 Abs. 5 S. 2 GWB einem öffentlichen Auftrag gleichgestellt.
Wie gehen Sie nun bei dieser Prüfung vor? Am besten vom Ende zum Anfang – wie bei der Planung einer Fahrtstrecke.
Zuerst schauen Sie sich an, ob der Wert der geplanten Auftragsänderung die Schwellenwerte der sogenannten Bagatellklausel des § 132 Abs. 3 GWB überschreitet. Sofern das zutreffen sollte, prüfen Sie danach, ob einer der Ausnahmetatbestände des § 132 Abs. 2 GWB erfüllt ist, die Sie von einer Ausschreibungspflicht entbinden. Ist keiner der Ausnahmetatbestände heranzuziehen, so prüfen Sie abschließend, ob es sich dabei um eine „wesentliche“ Auftragsänderung handelt, und somit ein neues Vergabeverfahren durchzuführen wäre (§ 132 Abs. 1 GWB).
Sie beginnen Ihre Prüfung mit der sogenannten „Bagatellklausel“, um zu entscheiden, ob die von Ihnen geplante Änderung einen Bagatellfall darstellt. Für diese Etappe müssen Sie zunächst einen kurzen Ausflug zum § 106 GWB unternehmen, der die jeweiligen EU-Schwellenwerte regelt. Unter Bezugnahme auf diesen Paragrafen nehmen Sie dann Ihre Reiseplanung wieder auf:
Die Bagatellklausel des § 132 GWB besagt, dass die Vertragsänderung nicht ausschreibungspflichtig ist, sofern ihr Wert unter den aktuell geltenden Schwellenwerten für den Oberschwellenbereich liegt. Zusätzlich darf die Änderung im Oberschwellenbereich im Falle von Liefer- und Dienstleistungen nicht mehr als 10 % und bei Bauaufträgen nicht mehr als 15 % des „ursprünglichen Auftragswerts“ betragen (die sogenannte „De-minimis-Grenze“). § 132 GWB Pro-Tipp: für den Unterschwellenbereich gelten für Liefer- und Dienstleistungen sogar 20% (vgl. § 47 Abs. 2 UVgO). Ist es erforderlich, mehrere Änderungen aufeinanderfolgend vorzunehmen, so ist der Gesamtwert aller Änderungen bei der Betrachtung anzusetzen.
Und hier wird das Gelände vorübergehend etwas holprig, denn der Begriff des „ursprünglichen“ Auftragswertes ist ein kleines Schlagloch. Irrtümlich wäre anzunehmen, dass mit diesem Wert derjenige (geschätzte) Auftragswert des Vergabeverfahrens gemeint ist, durch welches der bestehende Vertrag zustande kam. Jedoch ist bei der Betrachtung, ob eine Änderung die 10% bzw. 15%-Grenze nicht übersteigt, der Gesamtwert des bis dahin „gelebten“ Auftrages, sprich des bestehenden Vertrages, vollständig neu zu ermitteln. Mit anderen Worten: Der „ursprüngliche Auftragswert“ entspricht dem tatsächlichen Auftragswert/Volumen des Vertrages und nicht dem ursprünglich geschätzten Auftragswert. Nur auf dieser Grundlage können Sie eine korrekte Berechnung vornehmen und die weiteren vergaberechtlichen Schritte bewerten und planen.
Wichtig ist zudem, dass sich durch die Änderung der „Gesamtcharakter des Auftrags“, also die Art der Leistung, nicht verändert.
Sofern diese drei Voraussetzungen im Hinblick auf den Schwellenwert, die De-minimis-Grenze sowie den Gesamtcharakter auf Ihre Auftragsänderung zutreffen, wäre Ihre Reiseplanung damit abgeschlossen, denn Sie müssten kein neues Vergabeverfahren durchführen, da die vorzunehmende Änderung unter den Bagatellfall einzuordnen ist.
Ist die vorgesehene Änderung jedoch kein Bagatellfall, so setzen Sie Ihre Reise mit dem § 132 Abs. 2 GWB fort, auf der Sie insgesamt vier Rastplätze ansteuern müssen. In diesem Absatz regelt das Vergaberecht die Ausnahmetatbestände. Sobald eine dieser Ausnahmen auf Ihre Vertragsänderung zutrifft, müssen Sie nicht erneut ausschreiben, und zwar unabhängig davon, ob die Änderung des Auftrags als wesentlich oder unwesentlich anzusehen ist (Argument: „Unbeschadet des Absatzes 1 ist…“).
Nach § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GWB kann eine Auftragsänderung ohne die Durchführung eines erneuten Vergabeverfahrens vorgenommen werden, wenn sich dadurch der Gesamtcharakter des bestehenden Vertrages nicht verändert und in diesem bereits Überprüfungsklauseln und Optionen aufgenommen worden sind, die dann während der Vertragslaufzeit greifen sollen.
Gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 GWB müssten Sie nicht noch einmal ausschreiben, wenn während der Vertragslaufzeit zusätzliche Leistungen beauftragt werden müssen, die im bestehenden Vertrag noch nicht erfasst sind, da sie ursprünglich gar nicht oder - nach wohl überwiegender Auffassung – nicht im neuerdings benötigten Umfang vorgesehen waren, und ein Wechsel des derzeitigen Auftragnehmers „lit. a) aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen nicht erfolgen kann und lit.b) mit erheblichen Schwierigkeiten oder beträchtlichen Zusatzkosten für den öffentlichen Auftraggeber verbunden wäre“.
Unter Bezugnahme auf die aktuell vorherrschende Auffassung in der Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass entgegen dem Wortlaut des § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 GWB („und“), die Voraussetzungen der lit. a) und b) nicht beide gleichzeitig erfüllt sein müssen, sondern lediglich eine der beiden Voraussetzungen – das „und“ ist demnach als „oder“ auszulegen (vgl. u.a. MüKoEuWettbR/Jaeger GWB § 132 Rn. 37; Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, GWB § 132 Rn. 41, beck-online).
Diese vergaberechtliche Regelung bezieht sich darauf, dass ein öffentlicher Auftraggeber nicht zur Durchführung eines erneuten Vergabeverfahrens verpflichtet werden soll, wenn ein Wechsel des bestehenden Auftragnehmers die Unvereinbarkeit mit der bereits eingesetzten Lösung oder ungleich hohe finanzielle Belastungen mit sich brächte oder unverhältnismäßige technische Schwierigkeiten entstünden, und damit unzumutbar für den Auftraggeber werden würde (objektive Unmöglichkeit vs. subjektive Unzumutbarkeit).
Für diesen Rastplatz müssen Sie als Auftraggeber jedoch ausreichend Proviant einpacken: Damit dieser Ausnahmetatbestand wirksam für die vorgesehene Vertragsänderung greifen kann, sind detailliert und umfassend die technischen Gründe aufzuführen sowie die finanzielle Mehrbelastung darzustellen. Legen Sie Sie hier auch dar, welche eventuellen Auswirkungen ein Wechsel des Auftragnehmers auf die Punkte Datenschutz, Informationssicherheit, Schnittstellen, Gewährleistung und Kompatibilität von Produktlösungen hätte sowie die zeitlichen Auswirkungen, die sich durch einen Wechsel ergäben und unter Umständen Einfluss auf die Versorgungssicherheit oder den Weiterbetrieb hätten.
Der Ausnahmetatbestand § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 GWB bezieht sich auf jene Situationen, in denen Umstände eintreten, aus denen eine Auftragsanpassung erfolgen muss, die von dem öffentlichen Auftraggeber trotz größter Umsicht und Sorgfalt nicht hätte vorhergesehen werden können. Als Beispiele können hier plötzliche Änderungen in der Lieferkette und daraus resultierende Produktausfälle oder Lieferengpässe aufgrund von Rohstoffmangel genannt werden, aber auch neue gesetzliche Auflagen, die eine Anpassung der Leistung während der Vertragslaufzeit bedingen. Die Natur der eingetretenen Umstände muss demnach derart beschaffen sein, dass die ursprünglichen Ziele der Versorgung oder des Betriebs nicht mehr mit dem bestehenden Vertrag so nicht mehr erfüllt werden könnten. Zudem darf sich der Gesamtcharakter des in Rede stehenden Auftrags nicht verändern.
Zum Ausnahmetatbestand § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 GWB hat der Gesetzgeber schließlich Fälle aufgeführt, in denen der Wechsel des Auftragnehmers nicht dazu führt, dass der öffentliche Auftraggeber eine Leistung neu vergeben muss, zum Beispiel aus Gründen der Umstrukturierung des Unternehmens des Auftragnehmers durch Erwerb, Insolvenz, Zusammenschluss oder Übernahme (lit. b). Daneben kommen nicht selten Überprüfungsklauseln (lit. a) zum Tragen, in denen öffentliche Auftraggeber eindeutige Vorgaben zu Art, Umfang und Voraussetzungen des Auftragnehmerwechsels vorgesehen haben.
In Bezug auf die Ausnahmetatbestände in Nr. 2 und Nr. 3 müssen Sie als öffentlicher Auftraggeber zwei weitere wichtige Regelungen beachten:
Zum einen darf sich der Preis der Änderung um nicht mehr als 50% des ursprünglichen Auftragswertes erhöhen. Auch in diesem Fall ist der „ursprüngliche Auftragswert“ neu zu ermitteln und nicht derjenige Schätzwert heranzuziehen, der dem bereits abgeschlossenen Vergabeverfahren zugrunde lag. Sollen mehrere Änderungen aufeinanderfolgend vorgenommen werden, so ist jeweils der Wert der einzelnen Auftragsänderung anzusetzen.
Insoweit besteht also ein Unterschied zur Bagatellklausel des § 132 Abs. 3 GWB, bei der die Änderungen kumuliert zu betrachten sind – die De-minimis-Änderungen dürfen also in ihrer Gesamtheit nicht über 10 % bzw. 15 % des ursprünglichen Auftragswerts liegen.
Bei § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 GWB wird grundsätzlich nur auf den Preis abgestellt, nicht auf eine Menge, die über einen bestehenden Vertrag abgedeckt wird. Dabei ist die 50%-Preisobergrenze so zu verstehen, dass auch bei mehreren Auftragsänderungen immer „nur“ der ursprüngliche Auftragswert maßgeblich ist. Sofern zu einem früheren Zeitpunkt bereits Änderungen erfolgt waren, so fließen diese nach wohl herrschender und hier geteilter Auffassung in den „ursprünglichen Auftragswert“ nicht ein:
„Der Preis darf durch die Zusatzleistungen um nicht mehr als 50 % des Wertes des ursprünglichen Auftrags erhöht werden (§ 132 Abs. 2 S. 2 GWB), so dass die frühere Rspr., die eine wesentliche Vertragsänderung schon bei einer Erhöhung der Auftragssumme von 20 % angenommen hatte, nicht mehr herangezogen werden kann. Diese Voraussetzung gilt nicht für Aufträge und Konzessionen im Sektorenbereich (§§ 142 Nr. 3, 154 Nr. 3 lit. a GWB). Bezieht der Auftraggeber mehrfach Zusatzleistungen, so werden deren Einzelwerte nicht addiert (§ 132 Abs. 2 S. 3 GWB). Diese Änderungen bleiben mithin auch dann ausschreibungsfrei, wenn ihre Summe 50 % des Wertes des ursprünglichen Auftrags – nicht des Auftragswerts zum Zeitpunkt der betreffenden Änderung unter Einrechnung früherer Änderungen – übersteigt.“
(Ziekow/Völlink/Ziekow, 5. Aufl. 2024, § 132 GWB Rn. 50, beck-online)
sowie
„Durch zusätzliche Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen darf sich der Preis gemäß § 132 Abs. 2 S. 2 GWB um nicht mehr als 50 % des Wertes des ursprünglichen Auftrags erhöhen. Der Wert des ursprünglichen Auftrags bleibt auch nach zulässigerweise erfolgten Auftragsänderungen entscheidend. Die Änderung ist im Amtsblatt der EU gemäß § 132 Abs. 5 GWB bekanntzumachen.“
(Burgi/Dreher/Opitz/Hüttinger, 4. Aufl. 2022, § 132 GWB Rn. 50, beck-online)
Entscheidend ist auch hier eine konkrete und detaillierte Dokumentation der Gründe, denn es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass Sie Änderungen aufteilen und stückeln, um auf diese Weise die 50%-Preisobergrenze des § 132 GWB umgehen zu können.
Des Weiteren müssen Sie für die Auftragsänderungen gemäß Nr. 2 und Nr. 3 eine Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichen (§ 132 Abs. 5 GWB). Ein Unterlassen dieser Änderungsbekanntmachung kann in einem Nachprüfungsverfahren gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB unter Umständen die Unwirksamkeit der Auftragsänderung bewirken.
Wenn weder die Bagatellklausel gem. § 132 Abs. 3 GWB greift noch ein Fall des § 132 Abs. 2 GWB vorliegt, erfolgt die weitere Prüfung nach Maßgabe des § 132 Abs. 1 GWB. Es ist also der Frage nachzugehen, ob die geplante Vertragsänderung als „wesentlich“ anzusehen ist. Und wenn Sie im Rahmen Ihrer Prüfung zu dem Schluss kommen, dass eine Änderung des Vertrages als „wesentlich“ im Sinne des Abs. 1 einzustufen ist, ist für diesen Auftragsteil ein neues Vergabeverfahren einzuleiten.
Gemäß § 132 Abs. 1 S. 2 GWB sind Auftragsänderungen dann „wesentlich“, wenn sie dazu führen, dass sich der öffentliche Auftrag erheblich von dem ursprünglich vergebenen öffentlichen Auftrag unterscheidet. Wann die Erheblichkeitsschwelle überschritten ist, hängt stets vom jeweiligen Einzelfall ab. Jedenfalls ist eine Vertragsänderung ist nicht schon dann zwingend wesentlich, wenn die De-minimis-Grenzen des § 132 Abs. 3 überschritten sind. Es kann auch kein Umkehrschluss aus der Wertgrenze von 50 % aus § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 dahingehend gezogen werden, dass eine Vertragsänderung, die zu einer Erhöhung des Auftragswertes um mehr als 50 % führt, immer als „wesentlich“ zu bewerten wäre.
Um die Beurteilung der „Wesentlichkeit“ im jeweiligen Einzelfall zu erleichtern, werden in § 132 Abs. 1 S. 3 GWB Regelbeispiele genannt, die wesentliche Auftragsänderungen zur Folge haben:
Fällt die zu prüfende Änderung hingegen nicht unter das Wesentlichkeitskriterium, so können Sie die Auftragsänderung auch ohne ein erneutes Vergabeverfahren umsetzen.
Sie haben Ihr Ziel erreicht, wenn Sie alle vorgestellten Etappen des § 132 GWB in Ihrer Prüfung absolviert haben, Ihre Reise und Ihre Gründe umfassend dokumentiert haben und dadurch abschließend die Entscheidung treffen konnten, ob Sie ein neues Vergabeverfahren auf den Weg bringen müssen oder die Vertragsänderung lediglich eine unwesentliche Anpassung darstellt.
Hinweis: Dieser Blogbeitrag bietet lediglich einen Überblick und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.
Stellen Sie sich vor, es ist kurz vor den Abiturprüfungen und die Schul-IT streikt plötzlich. Oder Sie fragen sich, ob Sie einen lokalen IT-Dienstleister direkt beauftragen dürfen, obwohl es vielleicht zentrale Rahmenvereinbarungen gibt. Diese Fragen sind typisch für die Beschaffung zum Decken schulischer Bedarfe. In diesem Beitrag erfahren Sie, welche rechtlichen Rahmenbedingungen in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern im Zusammenhang mit der Schulbeschaffung zu beachten sind und wie Sie trotzdem flexibel und effizient handeln können.
Öffentliche Schulen stehen oft vor einem Spagat: Einerseits sind sie Teil der staatlichen Verwaltung und an haushalts- und vergaberechtliche Vorgaben gebunden. Andererseits genießen sie einen gewissen Grad an Selbstverwaltung; schließlich weiß jede Schule am besten, was sie braucht. Abhängig vom Bundesland legen das Schulrecht und die jeweiligen Vergabevorschriften fest, wie weit diese Autonomie reicht.
Beispiel 1: Wesentliche Regelungen in Hamburg
Beispiel 2: Wesentliche Regelungen in Mecklenburg-Vorpommern
Gemeinsam verfolgen diese Regelungen das Ziel, eine faire, transparente und wirtschaftliche Schulbeschaffung sicherzustellen. Für Schulen stellt sich in der Praxis daher häufig die Frage: „Kann ich den Anbieter meines Vertrauens beauftragen oder muss ich erst ein formales Verfahren durchlaufen?“
In diesem Exkurs beleuchten wir, wie die Rechtsnatur der Schulen und die Befugnisse der Schulleitung in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern geregelt sind und welche Paragraphen im HmbSG und dem SchulG M-V dafür besonders relevant sind.
Damit Sie wissen, ob Sie EU-weit ausschreiben oder im kleineren Rahmen agieren können, lohnt sich ein genauer Blick auf den Auftragswert.
So existieren beispielsweise in Hamburg spezielle Wertgrenzen gem. § 2a Abs. 3 HmbVgG i.V.m. Ziff. II.5 HmbVgRL:
Klingt nach viel Bürokratie? Ja, aber kein Grund zur Beunruhigung: Wenn man den grundlegenden Rahmen sowie die Wertgrenzen kennt und sorgfältig kalkuliert, steht einer erfolgreichen Bedarfsdeckung grundsätzlich nichts entgegen.
Möglicherweise fragen Sie sich: „Warum sollte ich mich mit diesen Wertgrenzen beschäftigen, wenn die Behörde ohnehin zentrale Verträge hat?“
Richtig ist: Rahmenvereinbarungen gem. § 21 VgV bzw. § 15 UVgO erlauben es öffentlichen Auftraggebern, wiederkehrende Bedarfe zu bündeln und auf diese Weise oftmals von attraktiven Konditionen und einem vereinfachten Abrufverfahren zu profitieren.
Allerdings werden solche Verträge nur dann tatsächlich günstiger als Einzelverträge (also herkömmliche Verträge mit klar definiertem Leistungsumfang), wenn das zu Grunde liegende Vergabeverfahren transparent, fair und betriebswirtschaftlich durchdacht gestaltet wurde - was in der Praxis nicht immer garantiert ist.
Die grundsätzliche Flexibilität von Rahmenverträgen kann sich daher mitunter zum Nachteil entwickeln:
Hinzu kommen einige Spezifika im Schulbereich (Schul-IT)
Gerade in Hamburg ist das Gefüge der Beschaffungsorganisation vergleichsweise komplex. Die Hamburgische Vergaberichtlinie (HmbVgRL) ist dabei in vier Abschnitte untergliedert (I. - IV.); die für Schulen wichtigsten Inhalte finden sich in Abschnitt I. "Allgemeines" und Abschnitt II. "Vorbereitung des Vergabeverfahrens".
Was eine Schule im Zusammenhang mit der Beschaffung von Leistungen (z.B. Hard- und Software, IT-Support, Bücher) beachten muss, hängt somit maßgeblich von folgenden Faktoren ab:
Durch die Klärung dieser Fragen lassen sich die meisten Grundlagen für Schulen im Beschaffungsprozess bereits schaffen.
Wer die voraussichtlichen Kosten einer Beschaffung ermitteln möchte, steht häufig vor der Frage, ob er nur ein Jahr (12 Monate) oder doch bis zu 48 Monate ansetzen muss. Zusätzlich sorgt die Regelung in § 3 Abs. 2 VgV (samt zugehöriger Gesetzesbegründung) regelmäßig für Unsicherheit, weil sie einerseits „Scheinsplitting" verbietet, andererseits sachlich gerechtfertigte Aufteilungen und organisatorische Trennungen zulässt. Hier ein Überblick:
Gemäß § 3 Abs. 1 VgV ist für die Wertgrenze der „voraussichtliche Gesamtwert“ der geplanten Leistung (netto) inklusive Optionen und möglicher Verlängerungen entscheidend. Liegt dieser Gesamtwert über den EU-Schwellenwerten, gilt das GWB-Vergaberecht (EU-weites Verfahren). Darunter finden die Regeln für den Unterschwellenbereich Anwendung (UVgO, Landesrecht).
Der Wert einer Rahmenvereinbarung wird gem. § 3 Abs. 4 VgV auf der Grundlage des geschätzten Gesamtwertes aller Einzelaufträge berechnet, die während der gesamten Laufzeit der Rahmenvereinbarung geplant sind.
§ 3 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 VgV schreibt vor, dass Schulbeschaffungen nicht in einzelne Teilaufträge geteilt werden dürfen, um sich dadurch unter Wertgrenzen zu bewegen. Eine solche Aufteilung ist nur dann zulässig, wenn objektive Gründe vorliegen. Ansonsten sind funktionell zusammengehörende Bedarfe zwingend zusammenzurechnen.
Die Gesetzesbegründung verweist auf die EuGH-Entscheidung „Autalhalle“ (Rs. C-574/10), wonach zu klären ist, ob mehrere Teilleistungen unter organisatorischen, inhaltlichen, wirtschaftlichen oder technischen Gesichtspunkten einen einheitlichen Charakter haben.
Objektive Gründe können sich aus der internen Organisation des Auftraggebers ergeben: Wenn zum Beispiel mehrere Schulen oder Kitas jeweils ein eigenes Budget verwalten und daher eigenständige Organisationseinheiten darstellen, ist das "Splitting" zulässig. Für Schulen heißt das: Obwohl sie in der Regel keine selbstständigen (rechtsfähigen) Anstalten sind, können sie als separate Organisationseinheiten gelten, sofern das Landesrecht oder die behördliche Praxis ihnen eine eigenständige Mittelbewirtschaftung einräumt. Die Gesetzesbegründung korrespondiert diesbezüglich mit Erwägungsgrund 205 der EU-Richtlinie 2014/24/EU:
"So könnte es beispielsweise gerechtfertigt sein, die Auftragswerte auf der Ebene einer eigenständigen Organisationseinheit des öffentlichen Auftraggebers, etwa Schulen oder Kindergärten, zu schätzen, sofern die betreffende Einheit unabhängig für ihre Beschaffungsmaßnahmen zuständig ist. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die eigenständige Organisationseinheit unabhängig Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge durchführt und die Kaufentscheidungen trifft, wenn sie über eine getrennte Haushaltslinie für die betreffenden Auftragsvergaben verfügt, die Aufträge unabhängig vergibt und diese aus ihr zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln finanziert."
Vor allem bei regelmäßig wiederkehrenden Leistungen oder Dauerschuldverhältnissen (z.B. laufender IT-Support mit fester Laufzeit und überwiegend pauschalierter Vergütung) sieht § 3 Abs. 10 VgV eine 12-monatige Betrachtung vor:
„Bei regelmäßig wiederkehrenden Aufträgen oder Daueraufträgen über Liefer- oder Dienstleistungen […] ist der geschätzte Auftragswert auf der Grundlage des tatsächlichen Gesamtbedarfs während der vorangegangenen zwölf Monate oder des voraussichtlichen Gesamtbedarfs der folgenden zwölf Monate zu ermitteln." (vereinfacht aus § 3 Abs. 10 VgV)
Praktisches Beispiel:
Ein IT-Dienstleister erhält eine monatliche Pauschale von 300 Euro. Der sich so ergebende Jahreswert (12×300 Euro = 3.600 Euro) liegt unterhalb von 5.000 Euro. In Hamburg könnte die Schule dann einen Direktauftrag erteilen, sofern keine zentrale Rahmenvereinbarung und/oder keine anderweitige Zuständigkeit entgegensteht.
Bei Leistungen, für die kein Gesamtpreis angegeben werden kann (deren Vergütung bspw. nach Tagespauschalen oder Stundensätzen erfolgt), ordnet § 3 Abs. 11 VgV Folgendes an:
Dies gilt allerdings nur, wenn sich wirklich kein voraussichtlicher Gesamtwert ermitteln lässt. Häufig lässt sich selbst bei monatlichen Pauschalen eine Jahresprognose aufstellen, sodass in § 3 Abs. 10 VgV heranzuziehen wäre. § 3 Abs. 11 VgV findet deshalb in der Praxis meist nur Anwendung, wenn beim Vertragsschluss keine belastbare Gesamtprognose möglich ist, also in der Regel bei unbestimmter Vertragslaufzeit.
Schulen sollten genau prüfen, ob die Angaben zum Leistungsumfang und der Schätzung nicht doch eine verlässliche Jahres- oder Gesamtwert-Ermittlung erlauben.
Sie möchten ein paar Laptops für Ihren Informatikraum anschaffen oder ein Softwareupdate in Auftrag geben? Auch bei überschaubar wirkenden Beschaffungen entscheidet die richtige Auftragswertschätzung darüber, welches Vergabeverfahren zum Einsatz kommt - und damit, wie aufwendig der Prozess für Sie wird:
Hier zeigt sich deutlich, wie Auftragswertschätzung und Vertragsgestaltung Hand in Hand gehen. Besonders wenn mehrere Schulen in einem gemeinsamen Projekt agieren, kann der Gesamtwert rasch ansteigen - und damit auch die rechtlichen Anforderungen.
Die Beschaffung von Leistungen für Schulen ist komplex, weil einerseits die Schulautonomie und der Wunsch nach passgenauen Lösungen bestehen, andererseits aber Vergabe- und Haushaltsrecht Transparenz und Wettbewerb sicherstellen sollen. In Hamburg kommt mit der neuen Hamburgischen Vergaberichtlinie (HmbVgRL) und den zentralen BVC-Strukturen eine weitere Ebene hinzu, die Schulen vor die Frage stellt, welche Verfahren und Vereinbarungen konkret zu beachten sind.
Zentrale Erkenntnisse:
Für Schulleitungen und alle Beteiligten gilt: Ein grundlegendes Verständnis für die Vergabebestimmungen und -prozesse, eine frühzeitige Abstimmung mit der zentralen Vergabestelle, eine verlässliche Auftragswertschätzung und die Prüfung bestehender Rahmenvereinbarungen sind essenziell. Auf diese Weise lassen sich sowohl kleine, unkomplizierte Vergaben als auch komplexere IT-Projekte rechtssicher gestalten.
Das neue Schulgesetz in Mecklenburg-Vorpommern bringt wichtige Änderungen mit sich, die auch für die Schulbeschaffung relevant sind. Besonders die Themen Digitalisierung, Schulorganisation und Mitbestimmung haben direkte Auswirkungen auf die Bedarfsplanung und Beschaffungsstrategien von Schulen und Schulträgern.
Mit der Digitalen Landesschule wird erstmals ein hybrides Schulkonzept gesetzlich verankert. Schülerinnen und Schüler können damit schulübergreifend digital unterrichtet werden – ein Modell, das insbesondere für ländliche Regionen Vorteile bringt.
Mögliche Auswirkungen auf die Schulbeschaffung:
Die verpflichtende berufliche Orientierung beginnt künftig bereits in der Grundschule und zieht sich bis zum Schulabschluss. Ziel ist es, Schülerinnen und Schüler frühzeitig auf die Arbeitswelt vorzubereiten.
Mögliche Auswirkungen auf die Schulbeschaffung:
Die Mindestanzahl an Schülerinnen und Schülern pro Jahrgang wurde gesenkt (von 20 auf 15 in Klasse 1, von 36 auf 30 in Klasse 5). Dies soll insbesondere kleinere Schulen im ländlichen Raum erhalten.
Mögliche Auswirkungen auf die Schulbeschaffung:
Ab Klasse 5 erhalten Schülerinnen und Schüler ein Stimmrecht in der Schulkonferenz, in den Klassenstufen 3 und 4 immerhin eine beratende Rolle.
Mögliche Auswirkungen auf die Schulbeschaffung:
Die Schullaufbahnempfehlungen müssen nicht mehr detailliert schriftlich begründet werden, sondern werden lediglich im Halbjahreszeugnis vermerkt.
Mögliche (indirekte) Auswirkungen auf die Schulbeschaffung:
Weniger Verwaltungsaufwand kann dazu führen, dass Lehrkräfte mehr Kapazitäten für digitale Lernkonzepte oder neue Beschaffungsprozesse haben
Freie Schulen erhalten in den Schuljahren 2025/2026 und 2026/2027 einen Zuschlag zu den aktuellen Schülerkostensätzen.
Das neue Schulgesetz stärkt insbesondere die digitale Bildung, die schulische Mitbestimmung und die langfristige Standortsicherung.
Für Schulen und Schulträger bedeutet dies:
Die neuen Rahmenbedingungen bieten eine gute Gelegenheit, bestehende Beschaffungsstrategien weiterzuentwickeln und auf die zukünftigen Anforderungen einer modernen Schule auszurichten.
Hinweis: Dieser Blogbeitrag bietet lediglich einen Überblick und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Im konkreten Einzelfall sind die jeweils aktuellen Landesregelungen, internen Organisationsanweisungen und die spezifische Vergabesituation zu berücksichtigen.
Bildnachweis (Titelbild): Erstellt mit canva, by Lily Gülbahar.
Vor der Einleitung eines Vergabeverfahrens stehen öffentliche Auftraggeber häufig vor der Herausforderung, ihren Bedarf mit dem Anbietermarkt in Einklang zu bringen. Hierbei spielt die Markterkundung gemäß § 28 VgV eine wesentliche Rolle. Denn die vorgelagerte Sondierung des Marktes liefert regelmäßig wichtige Erkenntnisse für das nachgelagerte Beschaffungsvorhaben. In diesem Beitrag gehen wir darauf ein, was öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung und Durchführung einer Markterkundung beachten sollten.
Was ist eine vergaberechtliche „Markterkundung“? Wie lässt sich diese sinnvoll vorbereiten und strukturiert durchführen? Diese und ähnliche Fragen stellen sich wiederholt in der Beschaffungspraxis, weil der Verordnungsgeber für das Werkzeug der Markterkundung keine strikte Form vorgegeben hat. Dies hat den Vorteil, dass öffentliche Auftraggeber ihr Vorgehen vergleichsweise frei gestalten können, aber zugleich den Nachteil, dass Musterdokumente u. -prozesse nur bedingt unverändert wiederverwertet werden können.
Öffentlichen Auftraggebern stehen also mehrere Möglichkeiten zur Sondierung des Marktes zur Verfügung. Auftraggeber können z.B. selbst im Internet recherchieren, den Rat von Sachverständigen heranziehen, die Expertise und Erfahrung anderer öffentlicher Auftraggeber einholen oder Unternehmen um Übersendung ihrer Leistungskataloge/Prospekte, Preislisten u.ä. bitten.
Da die Beteiligung der potenziell in Frage kommenden Unternehmen in der Praxis am häufigsten zur Anwendung kommt, wird im Folgenden auf diese Form der Markterkundung eingegangen.
Vor der Einleitung eines Vergabeverfahrens ist es öffentlichen Auftraggebern gestattet, Markterkundungen durchzuführen (§ 28 Abs. 1 VgV bzw. § 20 UVgO ). Man spricht auch von einer „Marktsondierung“ oder „Marktkonsultation“ (vgl. Art. 40 der RL 2014/24/EU).
Sie ist geeignet, dem öffentlichen Auftraggeber zu helfen, seinen konkreten Bedarf zu definieren bzw. zu spezifizieren, den voraussichtlichen Auftragswert zu ermitteln, die Vergabeunterlagen nicht „am Markt vorbei“ zu erstellen und die geeignete Verfahrensart (offenes Verfahren, Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb etc.) zu wählen.
Dabei ist die Markterkundung dem eigentlichen Vergabeverfahren vorgelagert, denn sie dient der Vorbereitung des Vergabeverfahrens und nachrangig der Unterrichtung der beteiligten Unternehmen über eine Vergabeabsicht des öffentlichen Auftraggebers. Die Durchführung von Vergabeverfahren, lediglich zur Markterkundung und zum Zwecke der Kosten- oder Preisermittlung (sog. „Scheinausschreibungen“) sind folgerichtig unzulässig, § 28 Abs. 2 VgV.
Ein weiteres Ziel der Erkundung des Anbietermarktes ist die Unterrichtung der Unternehmen über die Auftragsvergabepläne und -anforderungen. Sie soll die potenziellen Bieter frühzeitig über ein bevorstehendes Vergabeverfahren und die Anforderungen informieren und sie zur Teilnahme motivieren. Dabei sind selbstverständlich die vergaberechtlichen Grundsätze wie etwa der Nichtdiskriminierung und Transparenz zu wahren. Auch die „Projektantenproblematik“ kann eine Rolle spielen, auf die wir im Abschnitt II.5. dieses Beitrags näher eingehen.
Damit eine Marktkonsultation verwertbare Ergebnisse hervorbringt, sollten öffentliche Auftraggeber sowohl bei der Vorbereitung als auch der Durchführung der Markerkundung einiges beachten. Der nachfolgende Leitfaden dient dabei als Orientierungshilfe, um eine Markterkundung systematisch und effektiv durchzuführen:
Wenn Sie Fragen zur Markterkundung nach § 28 VgV oder zu sonstigen vergaberechtlichen Themen haben, kontaktieren uns gerne über unser Kontaktformular.
Hinweis: Dieser Blogbeitrag ersetzt keine Rechtsberatung.
Bildnachweis: © canva
Öffentliche Auftraggeber und Bieter müssen ab dem 1. Januar 2024 neue EU-Schwellenwerte zu Grunde legen. Hier finden Sie die Übersicht zu den bisherigen Wertgrenzen und den Vergaberecht Schwellenwerten 2024/2025.
Kürzlich hat die Europäische Kommission ihre turnusmäßige Anpassung der EU-Schwellenwerte im Vergaberecht beschlossen. Die Anpassung betrifft die „klassische“ Vergaberichtlinie (2014/24/EU), die Sektorenvergaberichtlinie (2014/25/EU), die Konzessionsvergaberichtlinie (2014/23/EU) sowie die Richtlinie Verteidigung und Sicherheit (2009/81/EG).
Soweit der geschätzte Auftragswert eines öffentlichen Auftrags die Schwellenwerte erreicht, sind öffentliche Auftraggeber verpflichtet, den Auftrag EU-weit auszuschreiben. Die Europäische Kommission passt die Schwellenwerte alle zwei Jahre an.
Ab dem 1. Januar 2024 gelten nunmehr die folgenden Werte:
Auftragsart | Ab 01.01.2024 | Bis 31.12.2023 |
---|---|---|
Liefer- und Dienstleistungsaufträge (“klassisch”) | 221.000 € | 215.000 € |
Liefer- und Dienstleistungsaufträge (Sektorenbereich, Verteidigung/Sicherheit) | 443.000 € | 431.000 € |
Liefer- und Dienstleistungsaufträge (obere und oberste Bundesbehörden) | 143.000 € | 140.000 € |
Bauaufträge / Konzessionen | 5.538.000 € | 5.382.000 € |
Die EU-Schwellenwerte basieren auf den Schwellenwerten des Agreement on Government Procurement (GPA), die in sog. Sonderziehungsrechten (SZR) angegeben werden. Diese, vom IWF künstlich geschaffene, Währung kommt auch im Transportrecht zum Einsatz. Der Kurs der Sonderziehungsrechte verändert sich zum Euro laufend, so dass alle zwei Jahre eine Anpassung der EU-Schwellenwerte an die Sonderziehungsrechte erfolgt.
Die jeweils neuen Schwellenwerte wurden in den Delegierten Verordnungen (EU) 2023/2495, 2023/2496, 2023/2510 und 2023/2497der Kommission vom 15. November 2023 veröffentlicht. Diese erreichen Sie über die folgende Übersicht:
Nachdem die neuen Schwellenwerte auf EU-Ebene entsprechend umgesetzt worden sind, ist aufgrund der in § 106 Absatz 1 GWB vorgesehenen dynamischen Verweisung kein Umsetzungsakt durch den deutschen Gesetzgeber erforderlich. Die neuen Schwellenwerte gelten somit ab dem Jahreswechsel unmittelbar für öffentliche Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber in Deutschland.
Wenn Sie Fragen zur Auftragswertschätzung nach § 3 VgV / § 2 SektVO oder zu sonstigen vergaberechtlichen Themen haben, kontaktieren uns gerne über unser Kontaktformular.
Hinweis: Dieser Blogbeitrag ersetzt keine Rechtsberatung.
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Das Jahr 2023 wird besonders ereignisreich für Vergabestellen und Bieter. Zu den Neuerungen im Vergaberecht 2023 zählen unter anderem das Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes, die obligatorische Verwendung der sog. "eForms" im Rahmen von Bekanntmachungen und die Einführung der XRechnung in Mecklenburg-Vorpommern .
Im Folgenden geben wir einen Überblick darüber, was das Jahr 2023 für Auftraggeber und Bieter zu bieten hat.
Ende Januar 2023 hat das Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) den zentralen Bekanntmachungsservice (BKMS) gestartet. Der BKMS kann unter www.oeffentlichevergabe.de erreicht werden. Mit dem Ziel, eine vollständige Übersicht über öffentliche Aufträge bereitzustellen, wird der Datenbestand ständig erweitert. Den Anfang machen die Bekanntmachungsdaten aus service.bund.de. Zukünftig werden auch Daten aus anderen gekoppelten Vergabeplattformen des Bundes und der Länder hinzugefügt. Dies gewährleistet eine noch umfassendere Übersicht und macht den Dienst zu einer wertvollen Ressource für Unternehmen und Organisationen bei der Verfolgung von Vergabeverfahren.
Beim BKMS handelt es sich um eine zentrale Plattform, über die sämtliche öffentlichen Bekanntmachungen von öffentlichen Auftraggebern aus Bund, Ländern und Kommunen frei zugänglich sind.
Das Kooperationsprojekt zur „standardbasierten Digitalisierung des öffentlichen Einkaufs- und Beschaffungsprozesses“ wurde vom IT-Planungsrat in Auftrag gegeben und wird federführend von der Freien Hansestadt Bremen und der Koordinierungsstelle für IT-Standards (KoSIT) entwickelt.
Zum Mehrwert des BKMS und zu seinen Implikationen für bestehende Vergabeportale schreibt der Beauftragte der Bundesregierung für Informationstechnik (CIO Bund) Folgendes:
„Mithilfe des Bekanntmachungsservice können Unternehmen Ausschreibungen differenzierter suchen und damit relevante Verfahren besser finden als bislang (d.h. verstreut auf viele lokale oder regionale Bekanntmachungsplattformen oder unter bund.de), die darin enthaltenen Informationen unmittelbar in betriebliche Prozesse integrieren und somit effizienter über ihre Teilnahme an Vergabeverfahren entscheiden. Die Zulieferung von Bekanntmachungen kann von der jeweiligen Vergabeplattform, z. B. über die E-Vergabe, unmittelbar an den Bekanntmachungsservice erfolgen oder mittelbar unter Nutzung des vom Land Bremen im Rahmen des Projektes „Zugang zur öffentlichen Vergabe“ entwickelten Vermittlungsdienstes. Der Vermittlungsservice wird Vergabeplattformen der Länder zur Nachnutzung angeboten, um Bekanntmachungen im vom Bekanntmachungsservice erwarteten Datenformat an den Bekanntmachungsservice zu liefern.“
– CIO Bund, cio.bund.de
Mit seinem Rundschreiben vom 21. Dezember 2022 verlängerte das Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheinland-Pfalz die geltenden Lockerungen im Vergaberecht für die Beseitigung von Schäden, die durch die Flutkatastrophe vom 14. und 15. Juli 2021 verursacht wurden.
Demnach können öffentliche Aufträge über Liefer-, Dienst- und Bauleistungen im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2023 und 31. März 2024 (lt. ABSt Hessen nur bis zum "31. Dezember 2023") nach den allgemeinen Grundsätzen i. S. d. Nummer 5.2.1 der Verwaltungsvorschrift „Öffentliches Auftragswesen in Rheinland-Pfalz“ vom 18. August 2021 in einem "wettbewerbsoffenen Verfahren" (Nr. 5.4 der Verwaltungsvorschrift) vergeben werden.
Laut Ziff. IV. 2. des Rundschreibens trat das Rundschreiben des Ministeriums vom 30. November 2021 (in der Fassung des Rundschreibens vom 2. Juni 2022) mit Ablauf des 31. Dezember 2022 außer Kraft.
Für Verfahren oberhalb der EU-Schwellenwerte bestehe im Übrigen die Möglichkeit zur Beschleunigung und Vereinfachung von Vergabeverfahren mithilfe gesetzlich vorgesehener Dringlichkeitstatbestände, die in Gefahren- und Dringlichkeitslagen zur Anwendung kommen können. Diesbezüglich verweist das Ministerium auf das Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 17. August 2021.
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) wird am 1. Januar 2023 in Kraft treten und stellt unternehmerische Sorgfaltspflichten für die Achtung von Menschenrechten und den Schutz von Umweltbelangen umfassend gesetzlich dar. Unternehmen sind verpflichtet, ein wirksames Risikomanagement einzurichten, um Gefahren für Menschenrechtsverletzungen und bestimmte Schädigungen der Umwelt zu identifizieren, zu vermeiden oder zu minimieren.
Bei einem Verstoß gegen das LkSG droht Bietern - unter den weiteren Voraussetzungen des § 22 Abs. 2 LkSG - der Ausschluss von Vergabeverfahren für bis zu drei Jahre (vgl. auch § 124 Abs. 2 GWB).
„Das Gesetz legt dar, welche Präventions- und Abhilfemaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich und entlang ihrer Lieferketten notwendig sind und verpflichtet zur Errichtung eines Beschwerdeverfahrens und regelmäßiger Berichterstattung. Es gilt zunächst für Unternehmen in Deutschland mit mindestens 3.000 Beschäftigten, ab 2024 auch für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigte.“
– Pressemitteilung der Bundesregierung vom 29. Dezember 2022, BMZ.de
Im Zusammenhang mit dem LkSG sind die folgenden Stichtage gem. § 1 Abs. 1 LkSG zu beachten:
Am 16. Dezember 2022 veröffentlichte das Land Sachsen-Anhalt eine neue Verordnung über die Auftragswerte nach der Unterschwellenvergabeordnung und der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (Ausgabe 2019).
Diese Auftragswerteverordnung (AwVO) trat am 2. Januar 2023 in Kraft und tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2023 außer Kraft.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat am 29. Dezember 2022 die Konsultation der Öffentlichkeit zur geplanten "Transformation des Vergaberechts" gestartet (Meldung vom 29. Dezember 2022).
Das erklärte Ziel sei es, Innovationen zu stärken und die Vorbildrolle der öffentlichen Beschaffung "für eine sozial-ökologische und digitale Transformation der Wirtschaft" zu nutzen. Die Reform solle aber auch zum Bürokratieabbau beitragen.
Die Konsultationsphase findet bis zum 14. Februar 2023 statt.
Unternehmen, Organisationen und Verbänden sowie interessierten Bürgern wird im Rahmen eines öffentlichen Konsultationsverfahrens die Möglichkeit gegeben, ihre Einschätzungen und Ideen zur Vergabetransformation als Antworten auf die in fünf Kategorien unterteilten Fragen einzubringen:
Über diesen Link gelangen Sie zum Fragebogen.
Am 13. Dezember 2022 wurde das neue Tariftreue- und Vergabegesetz Sachsen-Anhalt (TVergG LSA) vom 7. Dezember 2022 verkündet (GVBl. LSA Nr. 28/2022 S. 367 ff.). Das TVergG LSA ersetzt das bisher geltende Landesvergabegesetz vom 19. November 2012. Mit dieser Änderung setzt die Regierungskoalition die Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag 2021 um und führt eine Reihe von Neuerungen ein:
Das neue Gesetz sieht wesentliche Änderungen in der öffentlichen Auftragsvergabe vor, die aufgrund des in § 2 Abs. 2 TVergG LSA enthaltenen Verweises auf § 99 Nr. 2 GWB nunmehr auch Sektorenauftraggeber gem. § 100 Abs. 1 Nr. 1 GWB (z.B. kommunale Stadtwerke) betreffen dürften. Denn auf Grundlage der bisherigen Rechtslage nahm die Rechtsprechung Sektorenauftraggeber explizit aus dem Anwendungsbereich des LVG LSA aus (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 03.09.2020 - 7 W 27/20).
Schwellenwerte
Zum einen hat der Landesgesetzgeber die Schwellenwerte angehoben, um die Beschaffungen weitestgehend zu entbürokratisieren. So wurden die Schwellenwerte für Liefer- und Dienstleistungen auf EUR 40.000 netto (bisher EUR 25.000) und für Bauleistungen auf EUR 120.000 netto (bisher EUR 50.000) angehoben worden, § 1 Abs. 1 TVergG LSA.
Verwendung der elektronischen Vergabeplattform des Landes
Zum anderen müssen künftige Vergaben gem. § 3 TVergG LSA über die Vergabeplattform des Landes Sachsen-Anhalt (evergabe.sachsen-anhalt.de) als zentrales Bekanntmachungsmedium erfolgen.
UVgO
Für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen unterhalb der vergaberechtlichen EU-Schwellenwerte gilt gem. § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TVergG die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass gem. § 1 Abs. 2 S. 2 TVergG LSA die Bestimmungen des TVergG LSA und der aufgrund des TVergG LSA erlassenen Verordnungen Vorrang gegenüber der UVgO und der VOB/A (Teil A) genießen.
Inkrafttreten
Das TVergG LSA tritt grundsätzlich am 1. März 2023 in Kraft (vgl. § 29 Abs. 1 S. 1 TVergG LSA). Bereits am ersten Tag nach der Verkündung des TVergG LSA, d.h. am 14. Dezember 2022, traten dagegen diverse Regelungen im Zusammenhang mit Rechtsverordnungsermächtigungen (z.B. Festlegung von Wertgrenzen, Regelungen zur Durchführung elektronischer Vergabeverfahren, Einführung von Formularen bei Bauvergaben etc.) in Kraft, § 29 Abs. 1 S. 2 TVergG LSA.
Der "Gaskrisen-Vergabeerlass" in Mecklenburg-Vorpommern wird am 30. April 2023 außer Kraft treten, soweit er nicht verlängert wird.
Der Gaskrisen-Vergabeerlass vom 14. Oktober 2022 ermöglicht die Beschaffung von Liefer-, Dienst- und Bauleistungen, die unmittelbar oder mittelbar zur Bewältigung der angespannten Gasversorgungslage oder deren Folgen beitragen (unter Berücksichtigung der Haushaltsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit) ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens bis zur Höhe des jeweiligen EU-Schwellenwertes.
Unternehmen sind ab dem 01. April 2023 gemäß § 3 der E-Rechnungsverordnung Mecklenburg-Vorpommern (ERechVO M-V) verpflichtet, ihre Rechnungen unabhängig vom Auftragswert gegenüber öffentlichen Auftraggebern in elektronischer Form auszustellen und zu übermitteln.
Rechnungsempfangende müssen die elektronischen Rechnungen elektronisch empfangen und verarbeiten. Dazu können sie nach § 3 Abs. 3 i. V. m. § 7 ERechVO M-V die Onlinezugangsgesetz-konforme Rechnungseingangsplattform des Landes Mecklenburg-Vorpommern, die unter https://xrechnung-bdr.de veröffentlicht ist, nutzen.
Im Hinblick an die Anforderungen an das Rechnungsdatenmodell und an die Übermittlung sehen § 4 Abs. 1 und 3 ERechVO M-V Folgendes vor:
„Für die Ausstellung von elektronischen Rechnungen haben Rechnungsstellende und Rechnungssendende grundsätzlich den Datenaustauschstandard XRechnung gemäß § 4 Absatz 1 der E-Rechnungsverordnung des Bundes zu verwenden. Es kann auch ein anderer Datenaustauschstandard verwendet werden, wenn er den Anforderungen der europäischen Norm für die elektronische Rechnungsstellung entspricht.“
„Für die Übermittlung von elektronischen Rechnungen können Rechnungsstellende und Rechnungssendende die Onlinezugangsgesetz-konforme Rechnungseingangsplattform des Landes Mecklenburg-Vorpommern im Sinne von § 2 Absatz 2 des Onlinezugangsgesetzes nutzen. Die Onlinezugangsgesetz-konforme Rechnungseingangsplattform stellt den elektronischen Briefkasten aller sie nutzenden öffentlichen Auftraggeber des Landes dar. [...]"
– § 4 Abs. 1 und 3 ERechVO M-V
Die Länder Hessen und Rheinland-Pfalz folgen mit vergleichbaren Regelungen in 2024.
Die Schleswig-Holsteinische Landesverordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge zu Gunsten Schutzsuchender (Schutzsuchenden-Vergabeverordnung) vom 23. März 2022 trat am 01. April 2022 in Kraft und wird - sollte sie nicht verlängert werden - mit Ablauf des 30. Juni 2023 außer Kraft treten.
Die Verordnung sieht Erleichterungen für die Vergabe von Liefer-, Dienst- und Bauleistungen zu Gunsten Schutzsuchender (insbesondere Geflüchteter aus der Ukraine) vor:
"Diese Verordnung regelt Erleichterungen für Vergabeverfahren, die der Beschaffung von Liefer- und Dienstleistungen zur Aufnahme, Unterkunft, Versorgung oder Betreuung Schutzsuchender, insbesondere Geflüchteter aus der Ukraine, dienen. Darüber hinaus werden Erleichterungen für Bauaufträge, die Wohnzwecken dienen, geschaffen. Die in dieser Verordnung geregelten Bestimmungen gelten zusätzlich zu den Regelungen der Schleswig-Holsteinische Vergabeverordnung vom 1. April 2019 (GVOBI. Schl.-H. S. 72), welche ergänzend anzuwenden ist."
— § 1 der Schutzsuchenden-Vergabeverordnung
Die Stoffpreisgleitklausel wird am 30. Juni 2023 außer Kraft treten, soweit sie nicht zum dritten Mal verlängert wird.
Als Reaktion auf die infolge des Ukraine Krieges gestörten Lieferketten hatte der Bund am 25. März 2022 eine Handreichung veröffentlicht, welche eine Stoffpreisgleitklausel für Betriebsstoffe gemäß Nummer 2.3 der Richtlinie zum Formblatt 225 des VHB (ausnahmsweise Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel für Betriebsstoffe) vorsah.
Die Klausel dient dazu, die kriegsbedingten erheblichen Preissteigerungen bei wesentlichen Baumaterialien zumindest teilweise abzufangen und auf diesem Wege eine zumutbare Kalkulationsgrundlage für Bauvertragsparteien von Bundesbaubaumaßnahmen zu schaffen.
Zwar hatte das Bauministerium im Dezember einen Trend zur Stabilisierung bei Teilen der betroffenen Produktgruppen festgestellt. Ob dieser sich fortsetzt, sei aber noch nicht absehbar.
Um den besonderen Bedarfen in einer "wirtschaftlichen Ausnahmesituation" (Pandemie, Ukraine-Krieg) gerecht zu werden, führte der Freistaat Thüringen Erleichterungen im Thüringer Vergabegesetz ein, die zuletzt im Juni 2022 verlängert worden sind.
Diese befristet erhöhten Wertgrenzen in Thüringen laufen am 30. Juni 2023 aus, soweit sie nicht verlängert werden.
Die seit November des vergangenen Jahres freiwillig nutzbaren sog. "eForms" sind ab dem 25. Oktober 2023 bei EU-weiten Vergabeverfahren verpflichtend zu verwenden.
Die Durchführungsverordnung 2019/1780 vom 23. September 2019 zur Einführung von Standardformularen für die Veröffentlichung von Bekanntmachungen für öffentliche Aufträge („elektronische Formulare – eForms“) sieht vor, dass ab dem 25. Oktober 2023 in europaweiten Vergabeverfahren zwingend die neuen elektronischen Standardformulare („eForms“) anstelle der bisherigen Formulare nach der Verordnung 2015/1986 verwendet werden müssen.
Hierbei handelt es sich also um eine Neuerung von erheblicher praktischer Relevanz. Um die neuen Prozesse mit ausreichend zeitlichem Vorlauf intern abbilden zu können, sollten Vergabestellen den Einführungsprozess besonders aufmerksam verfolgen.
Weitere Informationen zum Thema eForms lassen sich unter anderem dem „Konzeptpapier zur rechtlichen Umsetzung der Durchführungsverordnung eForms“ des Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) entnehmen. Diesem lässt sich übrigens entnehmen, dass von den geplanten Neuerungen auch Vergabeverfahren unterhalb der EU-Schwellenwerte profitieren sollen:
„Die Durchführungsverordnung (EU) 2019/1780 zu „eForms“ enthält keine Verpflichtung für öffentliche Aufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte. Gleichwohl birgt die Nutzung eines einheitlichen Datenaustauschformats auch hier aus gesamtstaatlicher Sicht entscheidende Vorteile, unter anderem hinsichtlich der Qualität und Wirtschaftlichkeit der fortlaufenden oder anlassbezogenen Erhebung und Auswertung beschaffungsbezogener Daten nach dem Once Only-Prinzip. Zudem wird die Transparenz beschaffungsbezogener Anforderungen und Ergebnisse sowohl für Unternehmen als auch für die Zivilgesellschaft erheblich gesteigert..“
– S. 1 des Konzeptpapiers
Schließlich finden Entwickler technische Informationen zu eForms unter diesem Link.
Einen umfassenden FAQ-Beitrag werden wir in Kürze gesondert veröffentlichen.
Am 1. Januar 2024 ist die nächste Anpassung der für EU-weite Ausschreibungen maßgeblichen Schwellenwerte fällig. Erfahrungsgemäß wird die EU-Kommission die neuen Schwellenwerte im Zeitraum zwischen Oktober und November 2023 ankündigen.
Update vom 21.11.2023:
Die neuen EU-Schwellenwerte 2024/2025 stehen fest. Nähere Einzelheiten erfahren Sie in unserem Blogbeitrag zu den EU-Schwellenwerten ab dem 01.01.2024.
Die in Bayern derzeit geltenden Wertgrenzen für Vergabeverfahren staatlicher und kommunaler Auftraggeber laufen am 31. Dezember 2023 aus. Bis dahin sieht die Verwaltungsvorschrift zum öffentlichen Auftragswesen (VVöA) die folgenden Erleichterungen vor:
Tipp: Das Auftragsberatungszentrum Bayern e.V. stellt eine umfassende Übersicht zu den Wertgrenzen bei Ausschreibungen im Freistaat Bayern zur Verfügung (Link).
Bei Bekanntwerden weiterer Neuerungen zum Vergaberecht 2023 werden wir diesen Blogbeitrag entsprechend aktualisieren.
Wenn Sie als öffentliche Auftraggeberin oder Bieterin Fragen zu Vergaberecht haben, kontaktieren uns gerne über unser Kontaktformular.