Vergaberecht: Leitfaden für eine erfolgreiche Markterkundung

5. Januar 2024
Markterkundung Leitfaden Praxisleitfaden Vergaberecht

Vor der Einleitung eines Vergabeverfahrens stehen öffentliche Auftraggeber häufig vor der Herausforderung, ihren Bedarf mit dem Anbietermarkt in Einklang zu bringen. Hierbei spielt die Markterkundung gemäß § 28 VgV eine wesentliche Rolle. Denn die vorgelagerte Sondierung des Marktes liefert regelmäßig wichtige Erkenntnisse für das nachgelagerte Beschaffungsvorhaben. In diesem Beitrag gehen wir darauf ein, was öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung und Durchführung einer Markterkundung beachten sollten.

Praxistipps: Vorbereitung und Durchführung einer Markterkundung

Was ist eine vergaberechtliche „Markterkundung“? Wie lässt sich diese sinnvoll vorbereiten und strukturiert durchführen? Diese und ähnliche Fragen stellen sich wiederholt in der Beschaffungspraxis, weil der Verordnungsgeber für das Werkzeug der Markterkundung keine strikte Form vorgegeben hat. Dies hat den Vorteil, dass öffentliche Auftraggeber ihr Vorgehen vergleichsweise frei gestalten können, aber zugleich den Nachteil, dass Musterdokumente u. -prozesse nur bedingt unverändert wiederverwertet werden können.

Öffentlichen Auftraggebern stehen also mehrere Möglichkeiten zur Sondierung des Marktes zur Verfügung. Auftraggeber können z.B. selbst im Internet recherchieren, den Rat von Sachverständigen heranziehen, die Expertise und Erfahrung anderer öffentlicher Auftraggeber einholen oder Unternehmen um Übersendung ihrer Leistungskataloge/Prospekte, Preislisten u.ä. bitten.

Da die Beteiligung der potenziell in Frage kommenden Unternehmen in der Praxis am häufigsten zur Anwendung kommt, wird im Folgenden auf diese Form der Markterkundung eingegangen.

I. Was ist die Markterkundung?

Vor der Einleitung eines Vergabeverfahrens ist es öffentlichen Auftraggebern gestattet, Markterkundungen durchzuführen (§ 28 Abs. 1 VgV bzw. § 20 UVgO ). Man spricht auch von einer „Marktsondierung“ oder „Marktkonsultation“ (vgl. Art. 40 der RL 2014/24/EU).

Sie ist geeignet, dem öffentlichen Auftraggeber zu helfen, seinen konkreten Bedarf zu definieren bzw. zu spezifizieren, den voraussichtlichen Auftragswert zu ermitteln, die Vergabeunterlagen nicht „am Markt vorbei“ zu erstellen und die geeignete Verfahrensart (offenes Verfahren, Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb etc.) zu wählen.

Dabei ist die Markterkundung dem eigentlichen Vergabeverfahren vorgelagert, denn sie dient der Vorbereitung des Vergabeverfahrens und nachrangig der Unterrichtung der beteiligten Unternehmen über eine Vergabeabsicht des öffentlichen Auftraggebers. Die Durchführung von Vergabeverfahren, lediglich zur Markterkundung und zum Zwecke der Kosten- oder Preisermittlung (sog. „Scheinausschreibungen“) sind folgerichtig unzulässig, § 28 Abs. 2 VgV.

Ein weiteres Ziel der Erkundung des Anbietermarktes ist die Unterrichtung der Unternehmen über die Auftragsvergabepläne und -anforderungen. Sie soll die potenziellen Bieter frühzeitig über ein bevorstehendes Vergabeverfahren und die Anforderungen informieren und sie zur Teilnahme motivieren. Dabei sind selbstverständlich die vergaberechtlichen Grundsätze wie etwa der Nichtdiskriminierung und Transparenz zu wahren. Auch die „Projektantenproblematik“ kann eine Rolle spielen, auf die wir im Abschnitt II.5. dieses Beitrags näher eingehen.

Damit eine Marktkonsultation verwertbare Ergebnisse hervorbringt, sollten öffentliche Auftraggeber sowohl bei der Vorbereitung als auch der Durchführung der Markerkundung einiges beachten. Der nachfolgende Leitfaden dient dabei als Orientierungshilfe, um eine Markterkundung systematisch und effektiv durchzuführen:

II. Vorbereitung der Markterkundung

1. Vorüberlegungen

  • Soweit Bestandsverträge existieren, die den Beschaffungsgegenstand umfassen, sollte vorab geprüft werden, ob hinsichtlich des Bestandsvertrages Maßnahmen zu treffen sind (z.B. Kündigung, Verlängerung o.ä.).
  • Vor Beginn der Marktkonsultation sollte zudem geklärt werden, ob und in welcher Höhe Haushaltsmittel zur Verfügung stehen, damit der Umfang der Markterkundung dementsprechend ausgerichtet werden kann.

2. Ziel der Markterkundung

  • Klären Sie die genauen Ziele der Marktsondierung. Das primäre Ziel besteht häufig in der Schaffung einer Grundlage für die Definition des Beschaffungsgegenstandes, die sowohl den Anforderungen des Auftraggebers als auch den Möglichkeiten der Anbieterseite gerecht wird und wirtschaftlich abbildbar ist.
  • Legen Sie fest, welche Informationen Sie benötigen, um später gut informiert über das durchzuführende Vergabeverfahren entscheiden zu können.

3. Interne Abstimmung und Rahmenbedingungen

  • Stellen Sie sicher, dass alle relevanten internen Abteilungen über die geplante Marktkonsultation informiert sind.
  • Holen Sie von den verschiedenen Abteilungen Feedback und Anforderungen ein.
  • Setzen Sie einen zeitlichen Rahmen für die Markterkundung, d.h. auch für etwaige persönliche Präsentationen/Produktvorstellungen der beteiligten Unternehmen.

4. Bedarfsbestimmung

  • Bestimmen Sie möglichst Ihren genauen Bedarf und die Anforderungen an das zu beschaffende Produkt oder die zu beschaffende Dienstleistung. In diesem Zusammenhang können u.a. die folgenden Aspekte eine Rolle spielen:
    • Festlegung der rechtlichen und/oder technischen Rahmenbedingungen, die für den Beschaffungsgegenstand von Relevanz sind (sowohl in Bezug auf die Ist- als auch hinsichtlich der Soll-Beschaffenheit).
    • Bestimmung von wichtigen (Mindest-)Anforderungen wie z.B. SLA-Zeiten, Qualifikationsprofile des einzusetzenden Personals, zwingend notwendige Hardware-Fabrikate, initiale Bereitstellungszeiten außerhalb der SLA, ggf. Lizenzmodalitäten i.Z.m. Softwareprodukten u.ä.
  • Ermitteln Sie mögliche Optionen (Bedarfspositionen, Wahlpositionen u.ä.).
  • Identifizieren Sie ggf. weitere preisbildende Faktoren, damit diese möglichst in der Information an die teilnehmenden Unternehmen berücksichtigt werden können (z.B. in Betracht kommende Staffelpreise, die Möglichkeit des Abschlusses einer Rahmenvereinbarung usw.).
  • Soweit zusätzlich eine Präsentation der teilnehmenden Unternehmen gewünscht ist, sollten Sie – soweit möglich – eine Agenda vorbereiten, die den Unternehmen vorab mitgeteilt werden kann.

5. Vorbereitung der Dokumentation

  • Zur Wahrung des Grundsatzes der Transparenz ist die Markterkundung zu dokumentieren.
  • Zum Inhalt der Dokumentation zählen insbesondere die Art des Vorgehens (Internetrecherche, direkte Ansprache potenzieller Bieter, Beteiligung von Sachverständigen etc.), die daraus gewonnenen Erkenntnisse, welche Informationen die Marktteilnehmer erhalten haben und welche Rückmeldungen erfolgt sind sowie die Kontaktdaten der Unternehmen.
  • Wichtig ist daher die Vorbereitung eines Mediums (Word-Dokument, einheitlicher digitaler Ordner etc.), mit dessen Hilfe die Markterkundung dokumentiert wird.
  • Erstellen Sie außerdem die notwendigen Dokumente für die Markterkundung, wie beispielsweise Anschreiben und Fragebögen.
  • Sie sollten zudem interne Auswertungsmatrizen erstellen, um die Rückmeldungen der Teilnehmer der Markterkundung übersichtlich gegenüberstellen zu können.

6. Auswahl der Marktteilnehmer

  • Identifizieren Sie potenziell geeignete Lieferanten oder Dienstleister.
  • Berücksichtigen Sie dabei auch kleine und mittelständische Unternehmen.
  • Aufgrund des Wettbewerbsgrundsatzes sind mehrere Unternehmen an einer Marktkonsultation zu beteiligen.

7. Kommunikation vorbereiten

  • Entscheiden Sie, auf welchem konkreten Weg Sie an die in Frage kommenden Unternehmen herantreten möchten.
  • Für die gezielte Ansprache bietet sich primär die Kontaktaufnahme per E-Mail an.
  • Sie können mit den Unternehmen allerdings auch z.B. auf Fachmessen in Kontakt treten.

III. Durchführung der Markterkundung

1. Durchführung (Kontaktaufnahme per E-Mail)

  • Versenden Sie die Markterkundungsunterlagen an potenzielle Anbieter.
  • Klären Sie offene Fragen und beantworten diese möglichst gleichlautend gegenüber allen Teilnehmern.
  • Wahren Sie dabei den Geheimhaltungsgrundsatz.

2. Auswertung der Ergebnisse

  • Werten Sie die eingegangenen Informationen aus.
  • Identifizieren Sie Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken im Zusammenhang mit den Rückmeldungen und dem Beschaffungsgegenstand.
  • Üblicherweise ergeben sich Rückfragen auf Auftraggeberseite, die an die betroffenen Unternehmen übermittelt werden sollten.
  • Ggf. gewünschte Präsentationen der beteiligten Unternehmen sollten idealerweise nach der Auswertung der Rückmeldungen durchgeführt werden, damit die geplante Agenda auf Basis der Auswertung der Ergebnisse angepasst werden kann.

3. Vorbereitung der Entscheidung

  • Bereiten Sie die Ergebnisse der Marktkonsultation für die Entscheidungsfindung vor.
  • Erstellen Sie eine Zusammenfassung der relevanten Erkenntnisse.
  • Soweit möglich, sollten die Vor- und Nachteile verschiedener in Betracht kommender Umsetzungsvarianten (z.B. SaaS- vs. On-Premises-Software) aufgezeigt werden.

4. Entscheidungsfindung i.Z.m. dem weiteren Vorgehen

  • Soweit eine seriöse Auftragswertschätzung gem. § 3 VgV vor der Durchführung der Markterkundung noch nicht möglich war, sollten nun ausreichende Informationen für eine Schätzung vorliegen.
  • Darüber hinaus können auf der Basis der Ergebnisse der Markterkundung weitere wesentliche Entscheidungen über den weiteren Beschaffungsprozess getroffen werden:
    • Entscheiden Sie, ob die Beschaffung durchgeführt werden soll, was konkret und in welcher Menge beschafft werden soll (u.U. inkl. Mindest- und Höchstabnahmemengen),
    • Treffen Sie die Entscheidung, welche Verfahrensart angesichts Ihres Beschaffungsbedarfs und des Anbietermarktes am besten geeignet ist.

5. Feedback

  • Geben Sie den Teilnehmern der Markterkundung Rückmeldung zu ihren eingereichten Unterlagen und Antworten.
  • Beachten Sie während der gesamten Markterkundung und somit auch im Rahmen Ihres Feedbacks die sog. „Projektantenproblematik“ gem. § 7 VgV und vermeiden Sie, die Teilnehmer an der Markterkundung mit der Vorbefasstheit nach § 7 Abs. 1 VgV zu „infizieren“. D.h., Sie sollten den beteiligten Unternehmen kein Sonderwissen vermitteln, das ihnen gegenüber späteren Mitbewerbern einen echten Wettbewerbsvorteil verschafft. Eine solche "Infizierung" lässt sich unter Umständen verhindern, indem die den Unternehmen zur Verfügung gestellten Informationen verobjektiviert werden, also eine gewisse Allgemeingültigkeit aufweisen. Lassen Sie sich aber im Zweifel von einem auf das Vergaberecht spezialisierten Rechtsanwalt beraten.

Kontaktieren Sie uns bei offenen Fragen

Wenn Sie Fragen zur Markterkundung nach § 28 VgV oder zu sonstigen vergaberechtlichen Themen haben, kontaktieren uns gerne über unser Kontaktformular.

Hinweis: Dieser Blogbeitrag ersetzt keine Rechtsberatung.


Bildnachweis: © canva

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