Stellen Sie sich vor, es ist kurz vor den Abiturprüfungen und die Schul-IT streikt plötzlich. Oder Sie fragen sich, ob Sie einen lokalen IT-Dienstleister direkt beauftragen dürfen, obwohl es vielleicht zentrale Rahmenvereinbarungen gibt. Diese Fragen sind typisch für die Beschaffung zum Decken schulischer Bedarfe. In diesem Beitrag erfahren Sie, welche rechtlichen Rahmenbedingungen in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern im Zusammenhang mit der Schulbeschaffung zu beachten sind und wie Sie trotzdem flexibel und effizient handeln können.
1. Vergaberecht: Schulen zwischen staatlicher Verwaltung und Schulautonomie
Öffentliche Schulen stehen oft vor einem Spagat: Einerseits sind sie Teil der staatlichen Verwaltung und an haushalts- und vergaberechtliche Vorgaben gebunden. Andererseits genießen sie einen gewissen Grad an Selbstverwaltung; schließlich weiß jede Schule am besten, was sie braucht. Abhängig vom Bundesland legen das Schulrecht und die jeweiligen Vergabevorschriften fest, wie weit diese Autonomie reicht.
Beispiel 1: Wesentliche Regelungen in Hamburg
- Das Hamburgische Schulgesetz (HmbSG), das Hamburgische Vergabegesetz (HmbVgG) und die Landeshaushaltsordnung (LHO) regeln die Grundlagen.
- Seit 2024 wird das HmbVgG durch die Hamburgische Vergaberichtlinie (HmbVgRL) ergänzt. Die Richtlinie definiert Wertgrenzen und das grundsätzliche Vorgehen bei öffentlichen Beschaffungen. Die aktuelle Fassung (Stand 01/2025) finden Sie hier (Link).
Faustformel: Bei größeren Schulbeschaffungen ist grundsätzlich das Beschaffungs- und Vergabe-Center (BVC) der Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) hinzuzuziehen.
Beispiel 2: Wesentliche Regelungen in Mecklenburg-Vorpommern
- Die Basis bildet das Schulgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern (SchulG M-V), das durch Landeshaushaltsordnung (LHO) sowie das Tariftreue- und Vergabegesetz Mecklenburg-Vorpommern (TVgG M-V) ergänzt wird.
- Das TVgG M-V wird ergänzt durch die Vergabe- und Mindestarbeitsbedingungen-Verfahrensverordnung (VgMinArbV M-V).
- Ob die Kommune oder das Land die Trägerschaft innehat, richtet sich nach § 103 SchulG M-V.
Gemeinsam verfolgen diese Regelungen das Ziel, eine faire, transparente und wirtschaftliche Schulbeschaffung sicherzustellen. Für Schulen stellt sich in der Praxis daher häufig die Frage: „Kann ich den Anbieter meines Vertrauens beauftragen oder muss ich erst ein formales Verfahren durchlaufen?“
2. Exkurs: Rechtsstellung von Schulen und Schulleitern in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern
In diesem Exkurs beleuchten wir, wie die Rechtsnatur der Schulen und die Befugnisse der Schulleitung in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern geregelt sind und welche Paragraphen im HmbSG und dem SchulG M-V dafür besonders relevant sind.
- Rechtsstellung und Selbstverwaltung: In Hamburg definiert § 50 HmbSG die schulische Selbstverwaltung als einen Kernbestandteil der öffentlichen Schule, wonach Schulen innerhalb der staatlichen Gesamtverantwortung eigenverantwortlich agieren. Ihre Rechtsstellung ergibt sich wiederum aus § 101 Abs. 2 HmbSG ("nichtrechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts").
Mecklenburg-Vorpommern regelt in § 52 SchulG M-V die Rechtsstellung der öffentlichen Schulen als "nichtrechtsfähige öffentliche Anstalten", die im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel befugt sind, Rechtsgeschäfte für ihre Träger abzuschließen. Die "Selbstverwaltung der Schule" ist wiederum in den §§ 73 sowie 39a SchulG M-V verankert.
- Schulleitung: Für die Leitung einer Schule ist in Hamburg insbesondere § 89 HmbSG maßgeblich, der die Schulleitung als zentrale Instanz für pädagogische, organisatorische und personelle Entscheidungen bestimmt.
In Mecklenburg-Vorpommern beschreibt § 101 SchulG M-V die Rolle der Schulleitung, wonach diese ebenfalls umfassende Führungsaufgaben (z.B. Verwaltung der Haushaltsmittel, rechtsgeschäftliche Vertretung sowohl des Landes als auch des Schulträgers etc.) übernimmt.
Eine wesentliche Gemeinsamkeit ist, dass Schulleiterinnen und Schulleiter in beiden Ländern neben ihrer pädagogischen Verantwortung auch die Aufgabe haben, das Schulprogramm weiterzuentwickeln und die Zusammenarbeit aller Beteiligten zu koordinieren. Vor diesem Hintergrund spielen die Regelungen zu den Zuständigkeiten der Schulkonferenz in §§ 52 ff. HmbSG sowie § 76 SchulG M-V ebenfalls eine wichtige Rolle.
- Schulaufsicht: Gleichzeitig unterliegen die Schulen in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern einer staatlichen Fach-, Dienst- und Rechtsaufsicht, in Hamburg gemäß § 85 HmbSG, in Mecklenburg-Vorpommern nach § 97 SchulG M-V.
- Fazit: Insgesamt zeigt sich, dass Schulen in beiden Ländern trotz hoheitlicher Einbettung durch ihre Schulleitungen und sonstige Gremien relativ viel Gestaltungsfreiheit besitzen, wobei die exakten Befugnisse und Verfahren jeweils landestypisch ausgestaltet sind.
3. Schulbeschaffung + Vergaberecht: Zwischen EU-Schwellenwerten und Landesvorschriften
Damit Sie wissen, ob Sie EU-weit ausschreiben oder im kleineren Rahmen agieren können, lohnt sich ein genauer Blick auf den Auftragswert.
- Oberschwellenbereich: Liegt das geschätzte Volumen über den EU-Schwellenwerten, gelten das GWB-Vergaberecht (GWB, Teil 4, §§ 97 ff.) i.V.m. der Vergabeverordnung (VgV) bzw. sonstigen einschlägigen Verordnungen wie die VOB/A, SektVO und VSVgV. Dort finden sich etwa die Vorschriften zur europaweiten Bekanntmachung, zu formalen Vergabeverfahren und zur Verwendung geeigneter Zuschlagskriterien. Landesrechtliche Vergabegesetze (z.B. HmbVgG, TVgG M-V) dürfen diese EU-rechtlichen Vorgaben nicht aushebeln, sondern gelten nur ergänzend.
- Unterschwellenbereich: Liegt der Auftragswert unterhalb der EU-Schwellenwerte, greifen nationale bzw. landesrechtliche Vorschriften wie die UVgO (Unterschwellenvergabeordnung), Landesvergabegesetze (z.B. HmbVgG, TVgG M-V), Verwaltungsvorschriften (z.B. HmbVgRL, VgMinArbV M-V).
So existieren beispielsweise in Hamburg spezielle Wertgrenzen gem. § 2a Abs. 3 HmbVgG i.V.m. Ziff. II.5 HmbVgRL:
- Bis 5.000 Euro netto: Direktauftrag ohne förmliches Vergabeverfahren.
- Von 5.000 bis 100.000 Euro: Das „vereinfachte Beschaffungsverfahren“
- Ab 100.000 Euro: förmliches Verfahren nach UVgO oder, je nach Wert, sogar eine EU-weite Ausschreibung.
Klingt nach viel Bürokratie? Ja, aber kein Grund zur Beunruhigung: Wenn man den grundlegenden Rahmen sowie die Wertgrenzen kennt und sorgfältig kalkuliert, steht einer erfolgreichen Bedarfsdeckung grundsätzlich nichts entgegen.
4. Rahmenvereinbarungen: Chancen und Herausforderungen
Möglicherweise fragen Sie sich: „Warum sollte ich mich mit diesen Wertgrenzen beschäftigen, wenn die Behörde ohnehin zentrale Verträge hat?“
Richtig ist: Rahmenvereinbarungen gem. § 21 VgV bzw. § 15 UVgO erlauben es öffentlichen Auftraggebern, wiederkehrende Bedarfe zu bündeln und auf diese Weise oftmals von attraktiven Konditionen und einem vereinfachten Abrufverfahren zu profitieren.
Allerdings werden solche Verträge nur dann tatsächlich günstiger als Einzelverträge (also herkömmliche Verträge mit klar definiertem Leistungsumfang), wenn das zu Grunde liegende Vergabeverfahren transparent, fair und betriebswirtschaftlich durchdacht gestaltet wurde - was in der Praxis nicht immer garantiert ist.
Die grundsätzliche Flexibilität von Rahmenverträgen kann sich daher mitunter zum Nachteil entwickeln:
- Wegen fehlender Mindestabnahmepflichten oder aufgrund ausgeschlossener Exklusivität etc. können Rahmenverträge zu schlechten Konditionen führen.
- Zu abstrakt und / oder unverbindlich ausgestaltete Rahmenverträge drohen zum "stumpfen Schwert" zu werden, da sie individuelle Bedürfnisse der Schulen nicht oder nicht ausreichend berücksichtigen.
- In der Folge stehen Schulen vor der Entscheidung, ob sie Leistungen aus nicht bedarfsgerechten oder wenig wirtschaftlichen Rahmenverträgen beziehen oder stattdessen ihren individuellen Bedarf eigenständig decken.
Hinzu kommen einige Spezifika im Schulbereich (Schul-IT)
- Optional vs. Zwingend: Häufig verankern die ausschreibenden Stellen in den Rahmenvertragsdokumenten keinen echten Abrufzwang. Dann „dürfen“ die Schulen den Vertrag nutzen, müssen es aber nicht. Umgekehrt sind Rahmenverträge gelegentlich exklusiv gestaltet, wodurch Schulen verpflichtet wären, alle entsprechenden Leistungen dort abzurufen.
Dementsprechend sieht die Hamburger Vergaberichtlinie (HmbVgRL) z.B. in Ziff. II.4.3 und II.7.6.2 nur eine "grundsätzliche" Verbindlichkeit von Rahmenvereinbarungen für die einbezogenen Stellen vor - d.h. mit zulässigen Ausnahmen.
- IT-Bezug: Gerade für Hard-/Software oder IT-Support sind häufig zentrale Rahmenverträge ausgeschrieben. Schulen wünschen sich aber oft individuelle Lösungen oder möchten bewährte Dienstleister behalten. Das kann zu Reibungen führen, wenn weder auf Seiten der Schulen noch der zuständigen Schulbehörde eine Einigkeit über die Verantwortlichkeiten und Abläufe besteht.
Hier prallen die Grundsätze staatlicher Gesamtverantwortung und schulischer Selbstverwaltung aufeinander.
5. Organisationsstruktur und Zuständigkeiten in Hamburg: Zentrale Vergabestellen vs. Schulautonomie
Gerade in Hamburg ist das Gefüge der Beschaffungsorganisation vergleichsweise komplex. Die Hamburgische Vergaberichtlinie (HmbVgRL) ist dabei in vier Abschnitte untergliedert (I. - IV.); die für Schulen wichtigsten Inhalte finden sich in Abschnitt I. "Allgemeines" und Abschnitt II. "Vorbereitung des Vergabeverfahrens".
Was eine Schule im Zusammenhang mit der Beschaffung von Leistungen (z.B. Hard- und Software, IT-Support, Bücher) beachten muss, hängt somit maßgeblich von folgenden Faktoren ab:
- Sind das HmbVgG und die HmbVgRL anwendbar? → Wird regelmäßig zu bejahen sein, siehe auch Ziff. I.1 (persönlicher Anwendungsbereich) und I.2 (sachlicher Anwendungsbereich) HmbVgRL.
- Wer trifft die Beschaffungsentscheidung? → Nach Ziff. II.1 HmbVgRL liegt die Zuständigkeit beim „Bedarfsträger".
- Wie hoch der geschätzte Auftragswert und wer ermittelt ihn? → Gem. Ziff. II.2 HmbVgRL schätzt der Bedarfsträger den voraussichtlichen Auftragswert (netto) auf Grundlage des § 3 VgV vor Beginn eines Vergabeverfahrens, weil dies die Verfahrensart bestimmt (Ziffer II.5 HmbVgRL).
Tipp: Weitere Erläuterungen zu den Grundsätzen der Auftragswertschätzung nach § 3 VgV finden Sie unten unter "6. Auftragswertschätzung: Wann Direktauftrag, wann formale Ausschreibung?".
- Existiert bereits ein gültiger (Rahmen-)Vertrag, der den Bedarf deckt? Ist dessen Nutzung für die Schulen verbindlich oder nur optional? → Es kommt darauf an:
Erstens muss der individuelle Bedarf überhaupt von einem bestehenden (Rahmen-)Vertrag abgedeckt sein. Ob dies der Fall ist, müssen Schulen im Einzelfall ermitteln (Stichwort: Laptop ≠ Laptop, IT-Support ≠ IT-Support etc.).
Zweitens sieht die HmbVgRL in Ziff. II.4.3 sowie II.7.6.2 nur eine "grundsätzliche" Verbindlichkeit von Rahmenverträgen vor; Ausnahmen sind folglich möglich.
„Die Rahmenvereinbarungen werden grundsätzlich rechtlich bindend für alle einbezogenen Behörden und Ämter der FHH, einschließlich der Landesbetriebe, geschlossen. Dies gilt auch für staatliche Hochschulen und die Staats- und Universitätsbibliothek, soweit sie Bedarfe angemeldet haben." (Ziff. II.4.3 HmbVgRL, S. 23) und
„Rahmenvereinbarungen sind für alle einbezogenen Behörden, Ämter und Landesbetriebe der FHH in der Regel rechtlich bindend." (Ziff. II.7.6.2 HmbVgRL, S. 35)
Sieht der geschlossene Rahmenvertrag hingegen ausdrücklich keine Verbindlichkeit für Bedarfsträger/Abrufberechtigte oder "Exklusivität" vor, dürfte es sich um einen derartige Ausnahme von der Verbindlichkeit handeln. Pro-Tipp für Bedarfsträger und Bieter: In diesem Kontext können vor allem die während der Ausschreibung geführten Bietergespräche sehr aufschlussreich sein. Denn Bieter möchten sich meist ein eindeutiges Bild über das „Schicksal" von Bestandsverträgen machen, damit sie ihre eigenen Angebotspreise dementsprechend realistisch kalkulieren können.
- Wenn kein oder kein verbindlicher (Rahmen-)Vertrag existiert: Wie sind die Zuständigkeiten für das weitere Verfahren geregelt? → Welche Liefer-/Dienstleistungen über welche Vergabestelle beschafft werden müssen, ergibt sich aus Ziff. II.4 HmbVgRL. Dort wird zwischen grundlegenden Zuständigkeiten, Sonderregelungen und Beschaffungsorganisation differenziert.
- Welche Verfahrensart ist zu wählen? → Siehe hierzu Ziff. II.5 HmbVgRL ("Wahl der Verfahrensart").
Durch die Klärung dieser Fragen lassen sich die meisten Grundlagen für Schulen im Beschaffungsprozess bereits schaffen.
Wer die voraussichtlichen Kosten einer Beschaffung ermitteln möchte, steht häufig vor der Frage, ob er nur ein Jahr (12 Monate) oder doch bis zu 48 Monate ansetzen muss. Zusätzlich sorgt die Regelung in § 3 Abs. 2 VgV (samt zugehöriger Gesetzesbegründung) regelmäßig für Unsicherheit, weil sie einerseits „Scheinsplitting" verbietet, andererseits sachlich gerechtfertigte Aufteilungen und organisatorische Trennungen zulässt. Hier ein Überblick:
6.1 Grundregel: Voraussichtlicher Gesamtwert nach § 3 Abs. 1, 4 VgV
Gemäß § 3 Abs. 1 VgV ist für die Wertgrenze der „voraussichtliche Gesamtwert“ der geplanten Leistung (netto) inklusive Optionen und möglicher Verlängerungen entscheidend. Liegt dieser Gesamtwert über den EU-Schwellenwerten, gilt das GWB-Vergaberecht (EU-weites Verfahren). Darunter finden die Regeln für den Unterschwellenbereich Anwendung (UVgO, Landesrecht).
Der Wert einer Rahmenvereinbarung wird gem. § 3 Abs. 4 VgV auf der Grundlage des geschätzten Gesamtwertes aller Einzelaufträge berechnet, die während der gesamten Laufzeit der Rahmenvereinbarung geplant sind.
6.2 Kein künstliches "Schlechtrechnen" (Scheinsplitting)
§ 3 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 VgV schreibt vor, dass Schulbeschaffungen nicht in einzelne Teilaufträge geteilt werden dürfen, um sich dadurch unter Wertgrenzen zu bewegen. Eine solche Aufteilung ist nur dann zulässig, wenn objektive Gründe vorliegen. Ansonsten sind funktionell zusammengehörende Bedarfe zwingend zusammenzurechnen.
Die Gesetzesbegründung verweist auf die EuGH-Entscheidung „Autalhalle“ (Rs. C-574/10), wonach zu klären ist, ob mehrere Teilleistungen unter organisatorischen, inhaltlichen, wirtschaftlichen oder technischen Gesichtspunkten einen einheitlichen Charakter haben.
Objektive Gründe können sich aus der internen Organisation des Auftraggebers ergeben: Wenn zum Beispiel mehrere Schulen oder Kitas jeweils ein eigenes Budget verwalten und daher eigenständige Organisationseinheiten darstellen, ist das "Splitting" zulässig. Für Schulen heißt das: Obwohl sie in der Regel keine selbstständigen (rechtsfähigen) Anstalten sind, können sie als separate Organisationseinheiten gelten, sofern das Landesrecht oder die behördliche Praxis ihnen eine eigenständige Mittelbewirtschaftung einräumt. Die Gesetzesbegründung korrespondiert diesbezüglich mit Erwägungsgrund 205 der EU-Richtlinie 2014/24/EU:
"So könnte es beispielsweise gerechtfertigt sein, die Auftragswerte auf der Ebene einer eigenständigen Organisationseinheit des öffentlichen Auftraggebers, etwa Schulen oder Kindergärten, zu schätzen, sofern die betreffende Einheit unabhängig für ihre Beschaffungsmaßnahmen zuständig ist. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die eigenständige Organisationseinheit unabhängig Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge durchführt und die Kaufentscheidungen trifft, wenn sie über eine getrennte Haushaltslinie für die betreffenden Auftragsvergaben verfügt, die Aufträge unabhängig vergibt und diese aus ihr zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln finanziert."
6.3 Sonderfall: § 3 Abs. 10 VgV - Dauerschuldverhältnisse und 12-Monats-Betrachtung
Vor allem bei regelmäßig wiederkehrenden Leistungen oder Dauerschuldverhältnissen (z.B. laufender IT-Support mit fester Laufzeit und überwiegend pauschalierter Vergütung) sieht § 3 Abs. 10 VgV eine 12-monatige Betrachtung vor:
„Bei regelmäßig wiederkehrenden Aufträgen oder Daueraufträgen über Liefer- oder Dienstleistungen […] ist der geschätzte Auftragswert auf der Grundlage des tatsächlichen Gesamtbedarfs während der vorangegangenen zwölf Monate oder des voraussichtlichen Gesamtbedarfs der folgenden zwölf Monate zu ermitteln." (vereinfacht aus § 3 Abs. 10 VgV)
Praktisches Beispiel:
Ein IT-Dienstleister erhält eine monatliche Pauschale von 300 Euro. Der sich so ergebende Jahreswert (12×300 Euro = 3.600 Euro) liegt unterhalb von 5.000 Euro. In Hamburg könnte die Schule dann einen Direktauftrag erteilen, sofern keine zentrale Rahmenvereinbarung und/oder keine anderweitige Zuständigkeit entgegensteht.
6.4 Sonderfall: § 3 Abs. 11 VgV - Aufträge ohne Gesamtpreis
Bei Leistungen, für die kein Gesamtpreis angegeben werden kann (deren Vergütung bspw. nach Tagespauschalen oder Stundensätzen erfolgt), ordnet § 3 Abs. 11 VgV Folgendes an:
- Aufträge mit einer Laufzeit von max. 48 Monaten (§ 3 Abs. 11 Nr. 1): Die Laufzeit in Monaten wird für die Wertberechnung herangezogen.
- Aufträge mit unbestimmter Laufzeit oder Laufzeit über 48 Monate (§ 3 Abs. 11 Nr. 2): Der 48-fache Monatswert ist maßgeblich.
Dies gilt allerdings nur, wenn sich wirklich kein voraussichtlicher Gesamtwert ermitteln lässt. Häufig lässt sich selbst bei monatlichen Pauschalen eine Jahresprognose aufstellen, sodass in § 3 Abs. 10 VgV heranzuziehen wäre. § 3 Abs. 11 VgV findet deshalb in der Praxis meist nur Anwendung, wenn beim Vertragsschluss keine belastbare Gesamtprognose möglich ist, also in der Regel bei unbestimmter Vertragslaufzeit.
Schulen sollten genau prüfen, ob die Angaben zum Leistungsumfang und der Schätzung nicht doch eine verlässliche Jahres- oder Gesamtwert-Ermittlung erlauben.
6.5 Vergaberecht für Schulen: Die Auftragswertschätzung nicht unterschätzen
- Schulen müssen vorab prüfen, ob sie eigenständig beschaffen dürfen oder ob zusammenhängende Bedarfe bestehen und daher ggf. zusammenzurechnen sind.
- Scheinsplitting ist unzulässig, es sei denn objektiv gerechtfertigte Gründe sprechen für eine Trennung der Auftragswerte (z. B. eigenständige Organisationseinheiten mit eigenen Haushaltsmitteln, was üblicherweise auf Schulen und Kitas zutrifft).
- Bei Dauerschuldverhältnissen kommen in der Praxis oft 12 Monate als zeitliche Grundlage für die Auftragswertschätzung zum Tragen, wenn eine definierte Laufzeit existiert.
- Bei Aufträgen ohne Gesamtpreis und mit unbestimmter Laufzeit läuft es der Regel auf eine 48-Monats-Betrachtung hinaus.
7. Beispielkonstellationen (Vergaberecht für Schulen in Hamburg)
Sie möchten ein paar Laptops für Ihren Informatikraum anschaffen oder ein Softwareupdate in Auftrag geben? Auch bei überschaubar wirkenden Beschaffungen entscheidet die richtige Auftragswertschätzung darüber, welches Vergabeverfahren zum Einsatz kommt - und damit, wie aufwendig der Prozess für Sie wird:
- Kleiner Bedarf: Bleibt der Wert unter 5.000 Euro, können Sie in Hamburg grundsätzlich direkt loslegen, vorausgesetzt, dass keine (exklusive) Rahmenvereinbarung vorrangig ist.
Hierbei ist die "grundsätzliche" Zuständigkeitsregelung für Direktaufträge in Ziff. II.4.1 HmbVgRL zu berücksichtigen: "Koordinierungsstellen in den Senatsämtern, Fachbehörden (einschließlich ihrer Landesbetriebe) und Bezirksämtern / Hiervon abweichend gilt grundsätzlich: - Bei Shared-Service Vereinbarungen ist die jeweils intern zuständige Vergabestelle zuständig - Im Übrigen gelten Sonderregelungen siehe Ziffer II.4.2"
Tipp: Auch bei Direktaufträgen gem. Ziff. II.5.4 HmbVgRL sollte ein Mindestmaß an Dokumentation erfolgen (Welche Leistung? Welche Pauschale? Warum unter 5.000 Euro?). Dies beugt möglichen Vorwürfen einer Umgehung vor.
- IT-Support
- Monatliche Pauschale? Falls sie multipliziert mit 12 Monaten unter 5.000 Euro bleibt, ist ein Direktauftrag denkbar.
- Liegen Sie zwischen 5.000 Euro und unter 100.000 Euro, müssen Sie mindestens drei Angebote einholen und vergleichen (vereinfachtes Beschaffungsverfahren gem. Ziff. I.5 HmbVgRL). Hierbei sind auch die Zuständigkeiten zu beachten (Ziff. II.4 HmbVgRL).
- Über 100.000 Euro kann eine förmliche Ausschreibung (UVgO) oder gar eine EU-weite Bekanntmachung notwendig werden.
Hier zeigt sich deutlich, wie Auftragswertschätzung und Vertragsgestaltung Hand in Hand gehen. Besonders wenn mehrere Schulen in einem gemeinsamen Projekt agieren, kann der Gesamtwert rasch ansteigen - und damit auch die rechtlichen Anforderungen.
8. Praxishinweise für Schulen
- Immer zuerst prüfen: Gibt es bereits einen bestehenden (zwingenden) Rahmenvertrag? Wenn ja, sind Sie verpflichtet, ihn zu nutzen oder haben Sie Spielraum?
- Sorgfältige Auftragswertschätzung: Handelt es sich um ein Dauerschuldverhältnis i.S.d. § 3 Abs. 10 VgV, ist häufig nur der Jahreswert anzusetzen. § 3 Abs. 11 VgV (Abrechnung nach Zeitwerten und fehlendem Gesamtpreis) kommt nur zur Anwendung, wenn keine Gesamtprognose möglich ist. Dokumentieren Sie, wie der Wert ermittelt wurde.
- Wertgrenzen kennen (Hamburg)
- Unter 5.000 Euro: Direktauftrag.
- 5.000 bis 100.000 Euro: vereinfachtes Beschaffungsverfahren.
- Ab 100.000 Euro: UVgO-Verfahren oder ggf. Oberschwellenbereich (EU-weit).
- Hinweis: In anderen Bundesländern können ähnliche, aber teils abweichende Wertgrenzen gelten.
- Abstimmung mit der Fachbehörde/Vergabestelle:
- Bei Unsicherheiten oder größeren Vorhaben sollte man ggf. die zentrale Vergabestelle konsultieren.
- Wenn Bestandsverträge bzw. Rahmenverträge existieren, sollte geklärt werden, ob diese tatsächlich die eigenen Bedarfe abdecken und woraus eine Abrufverpflichtung resultiert.
- Keine vorschnellen „Selbstläufe“: Schulen sollten sich nicht lediglich auf mündliche Aussagen verlassen. Rahmenvertragstexte, Erlasse u.ä. und die HmbVgRL sollten genau studiert werden, um die eigenen Bedarfe rechtskonform zu decken und spätere Beanstandungen oder Rückforderungen zu vermeiden.
9. Fazit und Ausblick
Die Beschaffung von Leistungen für Schulen ist komplex, weil einerseits die Schulautonomie und der Wunsch nach passgenauen Lösungen bestehen, andererseits aber Vergabe- und Haushaltsrecht Transparenz und Wettbewerb sicherstellen sollen. In Hamburg kommt mit der neuen Hamburgischen Vergaberichtlinie (HmbVgRL) und den zentralen BVC-Strukturen eine weitere Ebene hinzu, die Schulen vor die Frage stellt, welche Verfahren und Vereinbarungen konkret zu beachten sind.
Zentrale Erkenntnisse:
- Rahmenverträge können (müssen aber nicht) exklusiv sein. Die tatsächliche Verbindlichkeit sollte immer genau geprüft werden.
- Direktaufträge bis 5.000 Euro sind möglich, sofern sauber dokumentiert und kein künstliches Splitting erfolgt.
- Dauerschuldverhältnisse wie bspw. IT-Support sind i.d.R. nach § 3 Abs. 10 VgV mit einem 12 Monats-Auftragswert anzusetzen.
- § 3 Abs. 11 VgV kommt nur zum Tragen, wenn kein Gesamtpreis vorher ermittelt werden kann und eine Abrechnung nach Zeitwerten erfolgt (z.B. Monatspauschalen ohne Mengenprognose wegen unbestimmter Vertragslaufzeit).
- Wertgrenzen (z.B. 100.000 Euro in Hamburg) markieren den Übergang vom vereinfachten in das förmliche Vergabeverfahren nach UVgO; oberhalb der EU-Schwellenwerte greift das GWB-Vergaberecht.
Für Schulleitungen und alle Beteiligten gilt: Ein grundlegendes Verständnis für die Vergabebestimmungen und -prozesse, eine frühzeitige Abstimmung mit der zentralen Vergabestelle, eine verlässliche Auftragswertschätzung und die Prüfung bestehender Rahmenvereinbarungen sind essenziell. Auf diese Weise lassen sich sowohl kleine, unkomplizierte Vergaben als auch komplexere IT-Projekte rechtssicher gestalten.
Update (14.03.2025): Neuerungen im Schulgesetz Mecklenburg-Vorpommern & Auswirkungen auf die Schulbeschaffung
Das neue Schulgesetz in Mecklenburg-Vorpommern bringt wichtige Änderungen mit sich, die auch für die Schulbeschaffung relevant sind. Besonders die Themen Digitalisierung, Schulorganisation und Mitbestimmung haben direkte Auswirkungen auf die Bedarfsplanung und Beschaffungsstrategien von Schulen und Schulträgern.
1. Digitalisierung und die Einführung der „Digitalen Landesschule“
Mit der Digitalen Landesschule wird erstmals ein hybrides Schulkonzept gesetzlich verankert. Schülerinnen und Schüler können damit schulübergreifend digital unterrichtet werden – ein Modell, das insbesondere für ländliche Regionen Vorteile bringt.
Mögliche Auswirkungen auf die Schulbeschaffung:
- Erhöhter Bedarf an IT-Ausstattung wie Laptops, Tablets und digitale Lehrmittel
- Notwendigkeit stabiler Netzwerkinfrastruktur in Schulen
- Potenzielle Anpassung bestehender IT-Rahmenverträge an hybride Unterrichtsmodelle
2. Früherer Start der beruflichen Orientierung – Neue Anforderungen an Lehrmittel
Die verpflichtende berufliche Orientierung beginnt künftig bereits in der Grundschule und zieht sich bis zum Schulabschluss. Ziel ist es, Schülerinnen und Schüler frühzeitig auf die Arbeitswelt vorzubereiten.
Mögliche Auswirkungen auf die Schulbeschaffung:
- Notwendigkeit neuer Lehr- und Informationsmaterialien für jüngere Jahrgänge
- Möglichkeit der Beschaffung digitaler Plattformen zur Berufsorientierung
- Stärkere Kooperationen mit externen Partnern für praxisnahe Angebote
3. Abgesenkte Mindestschülerzahlen für mehr Schulstandorte
Die Mindestanzahl an Schülerinnen und Schülern pro Jahrgang wurde gesenkt (von 20 auf 15 in Klasse 1, von 36 auf 30 in Klasse 5). Dies soll insbesondere kleinere Schulen im ländlichen Raum erhalten.
Mögliche Auswirkungen auf die Schulbeschaffung:
- Kleinere Schulen bleiben bestehen, wodurch sich die Planung von Ausstattung, IT-Infrastruktur und Lehrmitteln langfristig stabilisiert
- Größere Flexibilität bei der Beschaffung für kleinere Standorte, da nicht mehr nur große zentrale Einheiten berücksichtigt werden müssen
4. Mehr Mitspracherechte für Schülerinnen und Schüler
Ab Klasse 5 erhalten Schülerinnen und Schüler ein Stimmrecht in der Schulkonferenz, in den Klassenstufen 3 und 4 immerhin eine beratende Rolle.
Mögliche Auswirkungen auf die Schulbeschaffung:
- Mögliche stärkere Schülerbeteiligung bei Entscheidungen über neue Lehrmittel, IT oder Schulprojekte
- Anpassung der Beschaffungsprozesse an neue Mitbestimmungsstrukturen
5. Entlastung der Lehrkräfte durch Bürokratieabbau
Die Schullaufbahnempfehlungen müssen nicht mehr detailliert schriftlich begründet werden, sondern werden lediglich im Halbjahreszeugnis vermerkt.
Mögliche (indirekte) Auswirkungen auf die Schulbeschaffung:
Weniger Verwaltungsaufwand kann dazu führen, dass Lehrkräfte mehr Kapazitäten für digitale Lernkonzepte oder neue Beschaffungsprozesse haben
6. Finanzielle Unterstützung für freie Schulen
Freie Schulen erhalten in den Schuljahren 2025/2026 und 2026/2027 einen Zuschlag zu den aktuellen Schülerkostensätzen.
7. Fazit: Schulbeschaffung anpassen und Chancen nutzen
Das neue Schulgesetz stärkt insbesondere die digitale Bildung, die schulische Mitbestimmung und die langfristige Standortsicherung.
Für Schulen und Schulträger bedeutet dies:
- ✅ Überprüfung bestehender IT-Beschaffungen auf Kompatibilität mit digitalen Lernmodellen
- ✅ Anpassung der Lehrmittelauswahl an die früher startende Berufsorientierung
- ✅ Berücksichtigung der neuen Mindestschülerzahlen bei langfristigen Investitionen
- ✅ Integration der Schülermitbestimmung in Beschaffungsentscheidungen
Die neuen Rahmenbedingungen bieten eine gute Gelegenheit, bestehende Beschaffungsstrategien weiterzuentwickeln und auf die zukünftigen Anforderungen einer modernen Schule auszurichten.
Hinweis: Dieser Blogbeitrag bietet lediglich einen Überblick und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Im konkreten Einzelfall sind die jeweils aktuellen Landesregelungen, internen Organisationsanweisungen und die spezifische Vergabesituation zu berücksichtigen.
Bildnachweis (Titelbild): Erstellt mit canva, by Lily Gülbahar.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Informationstechnologierecht (IT-Recht)